Besonders geflüchtete Frauen von Ausbeutung gefährdet
Bereits 2,8 Millionen Ukrainer*innen sind auf der Flucht, die meisten davon Frauen und Kinder. In der Schweiz kommen sie auch in Privatunterkünften unter. Wer aber überprüft, ob sie sich eignen und sicher sind?
Letzte Woche kam nach langer und anstrengender Flucht, die Schwester von Eugenia gemeinsam mit ihrer Tochter in Basel an. Erschöpft, aber erleichtert, ihre Allerliebsten in die Arme schliessen zu können, fand sie hier in der Schweiz ihre Sicherheit. Ein vorläufiges Happy End, das nicht allen beschieden ist.
An dieser Stelle ein «Ende gut, alles gut» zu schreiben wäre unangebracht. Nach wie vor befinden sich sehr viele Menschen, besonders Frauen, auf der Flucht. Viele Männer und Söhne dürfen nicht aus der Ukraine ausreisen und werden für die Verteidigung des Landes mobilisiert. Ohne eine Garantie auf ein Wiedersehen mit ihrer geflüchteten Familie.
Auch Eugenias Schwester und Nichte mussten alles zurücklassen – die Angst, der Schock und Schmerzen sitzen tief. Man möchte sich nicht vorstellen, was auf der Flucht sonst noch hätte geschehen können. Besonders in der momentan chaotischen Situation, nutzen Täter die Verletzlichkeit von Frauen aus – und das Risiko, Opfer von Menschenhandel oder Missbrauch zu werden, ist real.
Sind vulnerable Menschen in Privatunterkünften sicher?
«Dass Frauen auf der Flucht aus der Ukraine jetzt Opfer von Menschenhandel werden, ist keine Theorie. Das ist Fakt», schreibt die Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in einer heute publizierten Medienmitteilung. Zur Zeit sei für diese Flüchtenden besondere Vorsicht angebracht. Man höre täglich von Verdachtsmomenten und gefährlichen Situationen. Um sich ein Bild machen zu können, wie schnell ein Mensch in ein solches Ausbeutungsschema rutschen kann, führt die Organisation ein Fallbeispiel auf:
Eine junge Mutter mit ihrer 3-jährigen Tochter flüchtet nach Kriegsausbruch in der Ukraine über Moldawien nach Griechenland. Lange ist sie in einem griechischen Flüchtlingslager. Dann endlich die gute Nachricht: Sie kann das Lager verlassen und erhält einen Schutzstatus in Griechenland. Doch Schutzstatus heisst nicht gleich Schutz, sondern lediglich eine Aufenthaltsbewilligung ohne jegliches Recht auf Unterkunft oder Sozialhilfe.
Sie findet sich als Obdachlose in Athens Strassen wieder und versucht verzweifelt, etwas Geld zu erbetteln um ihre Tochter und sich durchzubringen. Ein Mann, der ihr regelmässig etwas zu Essen bringt, bietet ihr an, bei ihm zu wohnen. Aus Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und Angst um ihre Tochter nimmt sie das Angebot an.
Was wie eine Geste des Erbarmens wirkt, entwickelt sich rasch zum Albtraum: Sie darf die Wohnung nicht verlassen, muss den Haushalt machen und wird von ihrem «Vermieter» sexuell missbraucht. Er nimmt auch Geld von Bekannten und befielt ihr, dass sie auch denen zur Verfügung stehen müsse.
«Deshalb braucht es, in Anbetracht der nun zunehmenden Unterbringungen in privaten Räumlichkeiten, eine gründliche Abklärung aller Beteiligten», sagt Doro Winkler, Leiterin Bereich Fachwissen und Advocacy der FIZ.
FIZ Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration – Helpline: +41 44 436 90 00
GGG Benevol Kompetenzzentrum für Freiwilligenarbeit: +41 61 261 74 24
«Helpline Ukraine» vom Staatssekretariat für Migration (SEM): FAQ, Tel:+41 58 465 99 11 (10–12 und 14–16 Uhr) oder per Mail: [email protected] .
Frauenhaus beider Basel: +41 61 681 66 33
➡️ Überblicks FAQ gesammelt und aktualisiert von Bajour: Hier
Langjährige Erfahrung gewährleistet Sicherheit
Bei dieser Evaluation gehe es zum einen darum, abzuklären, ob eine geflüchtete Personen überhaupt stabil genug ist, um bei Privaten unterzukommen. Vor allem aber müsse dabei zum Schutz der Betroffenen Personen eine enge Begleitung der Gastfamilien gewährleistet sein. So könnte eine gegenseitige Überforderung vorgebeugt werden. Winkler erklärt: «Besonders bei vulnerablen Menschen besteht eine gewisse Ausbeutungsgefahr. Deshalb ist eine gründliche Abklärung dermassen wichtig.» Es sei von höchster Priorität, dass vulnerablen Personen und traumatisierte Menschen geschützt werden. «Das ist nicht zu unterschätzen», so die Expertin.
Bereits das Vermittlungsprozedere soll mögliche Risiken in Bezug auf private Unterkünfte vermindern. Die notwendigen Abklärungen laufen in Basel über die GGG Benevol – im Auftrag des Departementes für Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Sie ist für das Sammeln von privaten Wohnangeboten, die Prüfung ihrer Qualität, sowie die Vermittlung verantwortlich und arbeitet eng mit der Sozialhilfe Basel-Stadt zusammen.
Keine Minderjährigen oder traumatisierte Personen vermitteln
Die GGG Benevol ist für die Qualitätssicherung und die Zuweisung an Privatunterkünfte verantwortlich im Kanton Basel-Stadt. Auch hier brauche es eine sorgfältige Abklärung, die «aufgrund der langjähriger Erfahrungen in diesem Bereich gewährleistet ist», sagt GGG-Vorstandsdelegierte Ruth Ludwig-Hagemann und erklärt den Controlling Ablauf: «Freiwillige die eine Unterkunft anbieten möchten, können sich per Formular auf der Webseite registrieren.» Danach würden die Daten von qualifizierten Mitarbeiter*innen abgearbeitet, geprüft und ein Besuch vor Ort samt Gespräch vereinbart. Hier sollen mögliche Missverständnisse oder mögliche Risikofaktoren erkannt und umgegangen werden. Falls keine weiteren Vorbehalte bestehen bleiben, wird man in die Gastgeber-Datenbank aufgenommen.
Abgesehen von den Abklärungen müssten auch gewisse Anforderungen seitens Anbieter*innen erfüllt sein, erläutert Ludwig-Hagemann: «Zum einen muss die Aufnahme für ein halbes Jahr verpflichtend sein, zum anderen die Wohnsituation eine zumutbares Umfeld darstellen.» Das bedeutet: die Räume müssen getrennt werden, damit die Privatsphäre gewährleistet ist. Ausserdem sollte der Zugang zu sanitären Anlagen und Küche jederzeit möglich sein.
Es werden keine Minderjährigen und schwer Traumatisierte in Privatunterkünfte vermittelt. Das steht in den Richtlinien der Schweizerischer Flüchtlingshilfe (SFH), die dieses Prozedere Bundesweit koordiniert. Für diese Abklärung stellt das HEKS Fachpersonal zur Verfügung, welches beurteilt, in welcher Verfassung sich ein*e Geflüchtete*r befindet. «Die Leute, die wir angestellt haben, verfügen hierfür über einen Background in Sozialarbeit und interkultureller Vermittlung», sagt Bettina Filacanavo, Mediensprecherin des HEKS. Ausserdem bekommen sie eine Schulung des HEKS, sowie spezifische Guidelines von der SFH zum Umgang mit geflüchteten Menschen. Somit seien die Ansprechpersonen des HEKS den Umständen entsprechend sensibilisiert.
Fedpol prüft Situation immer aufs Neue
Krieg und Flucht bergen die Gefahr, dass Schwächere ausgenutzt werden.. Auch wenn Massnahmen ergriffen werden, damit keine riskanten Situationen entstehen, ist ihre Sicherheit nie zu 100% garantiert. Deshalb sieht Doro Winkler von der Fachstelle für Frauenhandel und -migration den Staat in der Verantwortung. Zurzeit ist die GGG Benevol primäre Ansprechpartnerin im Kontext der privaten Wohnvermittlung im Kanton Basel-Stadt. Erst in einem zweiten Schritt wird die Sozialhilfe oder ein anderes Amt beigezogen.
Auch Christoph Gnägi, Sprecher des Bundesamts für Polizei (Fedpol), bestätigt, dass es Risiken gibt, aber noch seien keine konkreten Fälle bekannt. «Stand heute haben wir keine Warnhinweise. Das Fedpol beurteilt die Situation im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg immer wieder aufs Neue.» Gäbe es neue Informationen, würde im Informationsaustausch mit anderen Polizeibehörden die Lage neu beurteilt.
Ob der Schutzstatus S eine mögliche positive Auswirkung auf die Sicherheit der vorwiegend geflüchteten Frauen hat, die mit einer direkten Arbeitsbewilligung und Zugang vermeintlich unkomplizierte Sozialhilfe, relativ gute Voraussetzungen schafft, bleibt vorerst abzuwarten. Es ist anzunehmen, dass damit den Flüchtenden finanzielle Sicherheit und eine vorläufige Perspektive gegeben wird, was ihre Anfälligkeit für Missbrauch entscheidend verringern könnte. Deshalb sei es laut FIZ nun umso wichtiger, den ukrainischen Flüchtlingen zu vermitteln: «Ihr seid hier in Sicherheit, wir schützen Euch.»
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