«Solche Vorschläge sind gefährlich»

Hooligan-Experte Clifford Stott erforscht Fangewalt und berät Polizeistellen weltweit. Er sagt: Mehr Repression könne Gewalt bei Demos nicht verhindern.

Nazifrei 20201128
Die SVP will weniger Demos und mehr Strafverfolgung von Randalier*innen. (Bild: Roland Schmid)

Wer bei einer Demo randaliert, soll den Schaden und die Polizeikosten bezahlen. So lautet die Forderung der «Anti-Chaot*innen-Initiative» der Basler SVP (Bajour berichtete). Die SVP will die Regierung mit ihrer Initiative dazu bringen, dass unbewilligte Demos auch wirklich nicht stattfinden, Randalier*innen auch wirklich verhaftet werden. Und mit der «Freiheits-Initiative» möchte die Partei erreichen, dass die Zahl der Demos in Basel schrumpft und sie doch bitte nicht so oft durch die Innenstadt führen.

Ist diese Strategie sinnvoll, um die Anzahl Demonstrationen zu beschränken und Ausschreitungen zu verhindern?

Anruf in Keele, England, bei Clifford Stott. Er ist Experte für Massenpsychologie und eine Koryphäe in der Erforschung von Fussball-Hooligans. Er sagt: «Solche Vorschläge sind gefährlich.»

Clifford Stott
Zur Person

Clifford Stott forscht an der Keele University nahe Newcastle in England. Er hat Gewalt von Fussballfans untersucht und berät Behörden und Polizei weltweit. Seine Vorschläge zum Umgang der Polizei bei Fussballspielen wurden von der UEFA europaweit eingeführt und haben zur Reduktion von Gewalt geführt.

Für ihn sind Forderungen nach schärferem Durchgreifen eine Kurzschlussreaktion: «Man sieht Bilder von gewalttätigen Demos und will mit repressiveren Regeln weitere Ausschreitungen verhindern.» Die Anpassung von Gesetzen sei allerdings nicht der ideale Weg.

Denn die Gesetze erlaubten es der Polizei bereits, einzugreifen und Demonstrant*innen, welche das Gesetz brechen, zu bestrafen. «Wenn die Polizei gewalttätige Demonstrant*innen nicht verhaftet, dann häufig nicht wegen fehlender Gesetze, sondern weil sie die Lage so einschätzt, dass ein Eingreifen zu noch mehr Gewalt führen würde», so der Forscher.

Im Fall der unbewilligten Klima-Demo vom 11. Februar, die jüngst zu reden gab, hat die Kantonspolizei keine der Demonstrierenden verhaftet. Im Nachhinein gab die Polizei gegenüber Medien zu Protokoll, man habe die Lage im Vornherein unterschätzt. Das Polizeiaufgebot war vergleichsweise klein. Polizeisprecher Adrian Plachesi sagt dazu: «Um gewaltbereite Personen in einem Mob anzuhalten und gleichzeitig die Gesamtsituation im Griff zu haben, braucht es ein gewisses Mass an polizeilichen Ressourcen, die die Polizei an diesem Einsatz nicht hatte.»

Aktuell leidet die Polizei, wie viele andere Berufe auch, an einem Personalmangel. Und das hat offenbar auch mit den  vielen Demos zu tun, sagt Harald Zsedényi vom Polizeibeamten-Verband Basel-Stadt in der bz. Auch Plachesi sagt: «Je mehr Demonstrationen, desto grösser die Belastung für die Kantonspolizei.»

Vermummte Teilnehmer einer unbewilligten Klimadenonstration durchbrechen eine Polizeiblockade in Basel, am Samstag, 11. Februar 2023. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Das will die SVP

Die Regierung soll ein Konzept entwickeln, damit unbewilligte Demos nicht illegal stattfinden. Weiterhin sollen Störer*innen an Demos für Polizeikosten und Sachbeschädigungen haften. Darüber hinaus sollen künftig strengere Regeln bei der Bewilligung von Demos gelten: Die Interessen von Gewerbe und der Bevölkerung sollen mehr berücksichtigt werden. Das heisst: Keine Einschränkung im Tram-Verkehr, weniger Demos in der Innenstadt an Samstagen und keine Störung von Grossanlässen.

Zum Artikel

Ergibt es daher Sinn, die Anzahl Demos zu beschränken, um Bevölkerung, Gewerbe und Polizei zu entlasten, wie es die SVP will? 

So eine Beschränkung könnte laut Experte Clifford Stott kontraproduktiv sein. «Wenn eine demonstrierende Gruppe sich in ihrer Freiheit eingeschränkt sieht, fühlt sie sich ermutigt, sich der Autorität zu widersetzen.» Es geht also auch um eine gefühlte Einschränkung der Freiheit, die das Potenzial hat, zu Ausschreitungen zu führen.

Die Basler SVP ist sich bewusst, dass es mit ihrer Initiative zu mehr Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrant*innen kommen könnte. Grossrat Joël Thüring sagte diese Woche bei der Medienkonferenz: «Wir müssen ertragen, dass es dann mal wüste Szenen gibt, wenn der Rechtsstaat durchgreift.»

Eine Eskalationsspirale, eine «self-fullfilling prophecy», sei so programmiert, sagt Experte Stott. Was würde er also empfehlen, um der sich hochschaukelnden Lage zu begegnen? Er hat, abgeleitet aus seiner Forschung, einige Vorschläge:

  • Dialogorientierte Deeskalation
  • In Forschung investieren, um zu analysieren, warum es zu Gewalt kommt
  • Die Regeln im kantonalen Schweizer Flickenteppich vereinheitlichen

Wie Basel mit seiner Demo-Problematik umgehen wird, ist derzeit noch offen. Die SVP sammelt seit 8. März Unterschriften.

Und was denkst Du? Diskutiere mit!

Frage des Tages Demos
Wie verhindert man Ausschreitungen an Demos?

Wir wollen auch Deine Meinung wissen zu dem Thema. Diskutier mit bei der Frage des Tages.

Hier mitdiskutieren
Bajour Herz
Wir stehen für unabhängigen Journalismus

Unterstütze uns und werde Member.

Das könnte dich auch interessieren

Wochenkommentar Leila Moon

Ina Bullwinkel am 13. Dezember 2024

Verlierer*innen, wo du hinschaust

Was bleibt übrig von der knapp einmonatigen Diskussion um die Vergabe des Kulturförderpreises an Leila Moon? Eine Jury, die sich und die Künstlerin angreifbar gemacht hat. Ein Amt für Kultur, das sich wieder einmal rechtfertigen musste. Und eine Künstlerin, an der nun ein Image haftet, das nur schwer zu revidieren ist. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Pekerman2

Valerie Zaslawski am 10. Dezember 2024

«Wir werden sehen, ob Syrien wirklich ein Land für alle sein wird»

GLP-Grossrat Bülent Pekerman sagt im Interview mit Bajour, die Freude über den Sturz von Assad in der kurdischen Community sei gross. Er äussert aber auch Bedenken: «Die Türkei wird nun versuchen, den Kurden in Syrien das Leben schwer zu machen.»

Weiterlesen
Elisabeth Schneider-Schneiter Ukraine

David Rutschmann am 06. Dezember 2024

«Uns allen geht es um die humanitäre Tradition»

Die Baselbieterin Elisabeth Schneider-Schneiter war eine der Ausscherer*innen aus der Mitte, die im Nationalrat die Verschärfung des Schutzstatus S möglich machten. Sie findet es richtig, den Sonderschutz auf die akuten Kriegsgebiete zu beschränken – und hofft, dass man damit die Zuwanderungspolemik der SVP bekämpfen kann.

Weiterlesen
Valerie Kommentar-1

Valerie Zaslawski am 02. Dezember 2024

Alle Parteien raus! Sie haben da nichts zu suchen

Das Stadtteilsekretariat Kleinbasel steht in der Kritik, zu links zu sein. Nachdem die bürgerlichen Parteien ihm bereits den Rücken gekehrt haben, sollten auch die linken ihre Rolle überdenken. Parteien haben andere Gremien, um mitzuwirken, kommentiert Valerie Zaslawski.

Weiterlesen
David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

Kommentare