«An den Schlagzeilen lässt sich die Zufriedenheit nicht messen»

Esther Keller ist die vermutlich meistkritisierte Regierungsrätin Basels. Die Vorsteherin des Bau- und Verkehrsdepartements nimmt die Kritik ernst, aber nicht persönlich. Im Interview erzählt die GLP-Politikerin vom Chaos im Bauinspektorat, vom grössten Fehler ihrer Amtszeit und warum sie ihren VW-Bus abgegeben hat.

Esther Keller Interview, 22. August 2024
Esther Keller will ihren Sitz in der Regierung verteidigen. (Bild: Ernst Field)

Esther Keller, wenn Sie vier Jahre zurückdenken: Hätten Sie lieber das Präsidialdepartement bekommen?

(schüttelt energisch den Kopf) Nein, auf keinen Fall.

Warum? Sie sind ja bei der damaligen Wahl zur Regierungspräsidentin angetreten? Und vom beruflichen Background aus der PR und als Moderatorin hätte es gut gepasst.

Vor vier Jahren hat sich abgezeichnet, dass es keine Gegen-Kandidatur fürs Regierungspräsidium gibt. Das fand ich nicht gut. 

Letzten Winter, als Beat Jans in den Bundesrat gewählt wurde, wäre Ihre letzte Chance zur Flucht ins PD gewesen.

Da haben mich viele Leute gefragt: «Wieso machst du das nicht? Du kannst doch kommunizieren, da passt du doch hin.» Ich habe gesagt: Wo braucht man mehr Kommunikation als im Bau- und Verkehrsdepartement? 

Esther Keller Interview, 22. August 2024
Zur Person

Die 39-Jährige ist seit 2021 Mitglied des Regierungsrats und leitet das Bau- und Verkehrsdepartement (BVD). Sie ist schweizweit die erste GLP-Politikerin in einer Kantonsregierung. Ihre berufliche Laufbahn startete sie mit einem Praktikum beim Jugendformat mashTV von Telebasel. Dem Sender blieb sie als Moderatorin erhalten. Nach dem Journalismus wechselte sie als Mediensprecherin zu Novartis.

Sie verfasste mehrere Sachbücher, unter anderem die Biografie des Galeristen Ernst Beyeler. Die Volleyballerin war zudem Co-Präsidentin von Sm'Aesch Pfeffingen. Sie wohnt seit vielen Jahren in einer WG.

Im Interview mit der bz haben Sie gesagt, dass Ihre Abwahl bedeuten würde, dass sich alle Projekte in der Stadt, die Sie angestossen haben, verzögern würden. Ist das ein Erpressen der Wähler*innen?

(lacht) Es ist nunmal wirklich so, dass die Stossrichtung in einem Departement erst nach einer Weile spürbar wird: Bis alle an einem Strang ziehen, braucht es Zeit. Wäre da jemand Neues in der Regierung, dann ist automatisch eine Verunsicherung da. Denn es sind schwierige Güterabwägungen, manchmal zwischen einem Baum und einem Veloweg. 

Stört es Sie, dass die Prozesse so lange sind und Ihre Arbeit nicht immer sichtbar für die Wähler*innen ist?

Der Wahlkampf ist eben auch dafür da, um zu zeigen, was man schon gemacht hat. Die Weichenstellungen sind wichtig. Aber ob man jetzt 100 oder 200 Bäume gepflanzt hat, daran wird man nicht gemessen. Die Leute spüren, ob man ihnen zuhört. Viele unterschätzen diese persönlichen Gespräche, die man als Regierungsrätin führt. An den Schlagzeilen allein lässt sich die Zufriedenheit nicht messen. 

Die Ankündigung «Da passiert was» wird also ausreichen, damit die Basler*innen wieder Esther Keller ihre Stimmen geben?

Ich bin überzeugt, dass sie sehen, dass es nicht nur Ankündigungen sind, sondern dass wirklich etwas passiert: Dass wir vorwärts machen mit Velowegen, dass wir den CO2-negativen Asphalt mitentwickelt haben und verbauen und heute bis zu dreimal so viel Strassenfläche entsiegeln wie früher. 

Esther Keller Interview, 22. August 2024
«Im ersten Jahr habe ich mit dem Fahrrad einen Bogen um die Margarethenstrasse gemacht. Das war ein harter Start.»
Esther Keller (GLP), Bau- und Verkehrsdirektion

Wie fühlt sich der jetzige Wahlkampf an im Vergleich zu dem vor vier Jahren?

Da liegen Welten dazwischen. Damals war die GLP wirklich noch eine kleine Partei, wir hatten so wenig Struktur. Ich habe den Wahlkampf mehr oder weniger autonom von der Partei gemacht. Das war extrem spannend und toll, aber auch extrem anstrengend. Ich habe das halbe Jahr vor den Wahlen schlecht geschlafen. Da waren auch die Selbstzweifel: Schaffst du das? Traust du dir das zu? Gleichzeitig musst du immer selbstbewusst sein und die Argumente mit voller Überzeugung bringen.

Das haben Sie jetzt nicht mehr?

Ich habe immer noch Respekt vor diesem Herbst. Aber ich finde, es ist bisher viel mehr Dynamik in der Partei und der Wahlkampf ist viel professioneller aufgegleist. Ich nehme ausserdem den Wahlkampf als nicht sonderlich aggressiv wahr. Und: Weil ich jetzt vier Jahre Bau- und Verkehrsdirektorin bin, engt sich auch der inhaltliche Fokus ein. Man hat nicht den Anspruch an mich, alle Antworten zu Themen wie der Gesundheits- oder Migrationspolitik zu haben.

Warum wollen dann alle Ihren Sitz angreifen?

Das wird in den Analysen in den Zeitungen damit begründet, dass die GLP nicht in einem Bündnis antritt. Ich bin gar nicht so unglücklich, dass das immer wieder betont wird, denn es ist tatsächlich so, und es ist auch richtig so: Es spiegelt die Verhältnisse im Parlament wieder – wir haben mit dieser neuen Zauberformel 3-1-3 eine Balance, mit der die meisten sehr gut leben können.

Sie haben nicht den Eindruck, dass die Angriffslust der Gegner*innen auch an Ihrer Politik liegen könnte?

Von 20 Personen, die mich auf der Strasse ansprechen, ist nur eine negativ. Kritik aus der Politik wird es immer geben: Den einen geht es zu langsam, den anderen zu schnell. Wenn man in diesem Amt Sachen zu persönlich nimmt, wird es schwierig.

2020 haben auch linke Stimmen Sie ins Regierungsamt gebracht. Glauben Sie, Sie werden immer noch als links oder grün wahrgenommen?

Ich hoffe, dass ich als progressiv und mutig wahrgenommen werde. Ob etwas als links oder bürgerlich wahrgenommen wird, kümmert mich nicht. Die Schematik greift für mich zu kurz. Viele Menschen wünschen sich eine vorwärtsgehende, ich nenne es eine städtische Verkehrspolitik.

Können Sie das Wort Kugelahorn – das waren die damals gefällten Bäume – noch hören?

Im ersten Jahr habe ich tatsächlich mit dem Fahrrad einen Bogen um die Margarethenstrasse gemacht. Das war ein harter Start. Weil die Leute wussten, dass ich mit dem Anspruch auf Begrünung angetreten bin, hat es mich ungleich härter getroffen, als wenn die Baumfällung in die Amtszeit meines Vorgängers gefallen wäre. Das Thema Begrünung hat im medialen Sommerloch damals eine wahnsinnige Eigendynamik entwickelt – mittlerweile ist die Emotionalität ein bisschen zurückgegangen. Auch, weil die Leute spüren, – ich höre das aus meinem Umfeld – dass etwas geht.

Esther Keller Interview, 22. August 2024
Ihr grösster Fehler war zu denken, die Digitalisierung werde ein Selbstläufer. (Bild: Ernst Field)

Sind Sie eigentlich noch ein gutes WG-Mitglied, seit Sie Regierungsrätin sind?

(lacht). Ich finde, ja. Ich glaube, während des letztes Wahlkampfes war ich kein einfaches WG-Mitglied: Wir waren gerade umgezogen und meine Mitbewohnerinnen mussten quasi den ganzen Umbau alleine stemmen. Da war ich schon gestresst. Seit ich Regierungsrätin bin, hat sich nicht viel geändert, ich habe schon vorher viel gearbeitet. Wir haben immer noch unser gemeinsames Essen am Sonntagabend, man trifft sich nach der Arbeit in der Küche. 

Was würden Sie sagen, ist der grösste Fehler, den Sie in Ihrer bisherigen Amtszeit gemacht haben?

(überlegt) Ich bin davon ausgegangen, dass die Digitalisierung ein Selbstläufer wird. In privaten Unternehmen kenne ich das so. Die unterschiedlichen Fachbereiche, die involviert sind, die Komplexität der Systeme – das habe ich unterschätzt. Und auch die Leute muss man mehr mitnehmen. Das hätte mehr Zeit gebraucht, da hätte ich gern am Anfang einen Pflock einschlagen. Ich bin nicht zufrieden, dass wir da noch nicht weiter sind. 

Digitalisierung war damals ja sogar ein Wahlkampfthema von Ihnen. Würden Sie das nochmal machen?

Ich finde es im Bereich Bauen wichtiger denn je. Baugesuche, die von dutzenden Fachstellen physisch hin und her geschickt werden, das ist so 20. Jahrhundert. Es bleibt wichtig, aber es ist kein Thema, das die Massen mobilisiert. Doch in meiner zweiten Amtszeit muss noch mehr gehen.

Dass Sie gut kommunizieren können und den Leuten zuhören, wenn sie ein Anliegen haben, halten Ihnen Politiker*innen von links wie rechts zugute. Aber kritisiert wird, dass Ihnen der Durchsetzungswille, die Führungskompetenz fehlt.

Das finde ich ja schon noch interessant: Wer das Gefühl hat, er könne heute noch mit einem militärischen Top-Down-Stil, mit Direktiven ein Team führen, wird sehr schnell merken: Selbst wenn alle eingeschüchtert zustimmen, wird es nicht umgesetzt. Und: Im BVD sind wir angewiesen auf Fachkräfte. Wenn die merken, es gibt keine moderne Führungskultur mit ehrlichen Rückmeldungen, dann würden sie nicht bei uns arbeiten wollen. Auch von Mitarbeitenden wird geschätzt, dass wir gemeinsam Lösungen suchen.

Haben Sie Beispiele, wo Sie sich durchgesetzt haben?

In der Diskussion rund um die Regulierung im Bauwesen hatte ich die Idee, einen runden Tisch zu machen, bei dem alle Akteure zusammenkommen. Manchen Mitarbeitern standen die Haare zu Berge, als ich mit dem runden Tisch kam. Das sollen die Fachverbände oder das Parlament angehen, hiess es. Mir war es aber extrem wichtig, dass das gemacht wird. Mir ist kein anderer Fall in der Schweiz bekannt, wo das gemacht wird. Ein anderes Beispiel ist die Situation mit den Rehen auf dem Friedhof Hörnli gewesen. Auch dort hatte ich intern und extern grossen Widerstand und habe mich durchgesetzt.

Esther Keller Interview, 22. August 2024
«Das braucht Geduld. Die Bearbeitungsfristen haben sich noch nicht erholt.»
Esther Keller zu den Baugesuchen

Ein BVD-Thema, das medial ziemliche Wellen geschlagen hat, ist die Krise im Bauinspektorat. Hat das Arbeitsklima damals gestimmt?

Nein, überhaupt nicht. Der Druck auf die Behörde ist riesig, es hängen viele finanzielle Ressourcen von Firmen, die bauen wollen, an den Baubewilligungen. 2022 ist das zu einer echten Belastung geworden. Je schlechter die Erfüllungsquote wurde, desto grösser wurde der äussere Druck. Der interne Druck stieg, als es einige Pensionierungen gab und daraufhin andere Mitarbeitende gekündigt haben. Zeitweise waren nur noch drei Bauinspektoren operativ für 1500 Gesuche jährlich.

Sie haben Massnahmen angekündigt: Mehr Personal, bessere Erreichbarkeit, digitale Baugesuche, kürzere Bearbeitungsfristen. Hat sich die Situation verbessert?

Jetzt sind 10 oder 11 Bauinspektoren aktiv, das Arbeitsklima ist wieder besser geworden, auch wenn man die Nachwehen der Krise noch merkt. Aber die neuen Leute sind auf dem Gebiet noch nicht gleich erfahren und schnell wie jemand, der 30 Jahre in dieser Behörde gearbeitet hat – wie gesagt: Bauen ist komplex. Das braucht Geduld, ich hoffe, dass die neuen Leute auch wirklich bleiben. Die Bearbeitungsfristen haben sich noch nicht erholt.

FDP-Regierungskandidatin Eva Biland wirbt damit, die Überregulierung bekämpfen zu wollen. Was ist Ihre Antwort darauf?

Sie darf gerne mal an einem runden Tisch teilnehmen (lacht). Nein im Ernst: Niemand bestreitet, dass das Korsett der Gesetze und Verordnungen zunimmt. Man muss in der Diskussion aber auch immer wieder betonen, dass wir um ganz viele Regeln froh sind. Erdbebenschutz zum Beispiel. Das umfassende Regelwerk ist etwas, das Baudirektionen in der ganzen Schweiz beschäftigt. Den einfachen Zweihänder, um es zu lösen, hat mir noch keiner zeigen können. 

Haben Sie denn keinen Vorschlag, wie man Bauen einfacher machen könnte?

Wir haben heute zu viele Regeln beim Umbauen. Da muss man die gleichen Standards erreichen wie bei einem Neubau – und hat dann einen Zielkonflikt mit der Umweltschutzgesetzgebung. Man will ja nicht einfach alles abreissen. Ich bin überzeugt, dass wir da Wege finden, um das Umbauen einfacher zu machen. Das ist ein Prozess, an dem wir dran sind.

Esther Keller Interview, 22. August 2024
Will bei der Baustellen-Koordination vorwärts machen: Esther Keller. (Bild: Ernst Field)

Unser Gespräch findet in der Bajour-Redaktion an der Clarastrasse statt – wir sind hier Kummer gewohnt, wegen der Baustelle vor der Tür.

Ist es ein Kummer?

Die Baustelle wird immer wieder aufgerissen und dann wieder zubetoniert.

Der Bauplan hier ist in enger Abstimmung mit dem Gewerbe entwickelt worden – es wird in Etappen gebaut, sodass es für die Läden hier verträglich ist. Deshalb sind die Baustellen an Weihnachten und der Art Basel beispielsweise wieder zu. Manche Leute haben das Gefühl, es wäre besser, wir würden es lieber einmal und dann richtig machen. Das würde bedeuten, dass die Abfallfahrzeuge nicht mehr durchkommen, man hat ziemlich lange keinen Strom und kein Wasser mehr und es würde in der Nacht gearbeitet werden. Ich weiss nicht, wie viele Leute das lustig fänden. Aber ich bin gespannt auf das Feedback.

Wir finden es auch schade, dass die Clarastrasse nach der Baustelle nicht grüner sein wird. Warum werden nicht mehr Bäume gepflanzt?

Bei der Freien Strasse weiss ich es ein bisschen genauer, als ich es bei der Clarastrasse abgeklärt habe. Aber auch hier sind die Leitungen ein Punkt, da es dadurch keinen Platz für Wurzeln gibt. Und die Tramgleise helfen auch nicht. Man muss auch immer bedenken, dass die Geschäfte Anlieferungen benötigen. Wenn es anders nicht geht, die mobilen Pflanzenelemente grosszügig genug sind und schattige Sitzmöglichkeiten bieten, dann spielt es für die meisten Leute hier keine Rolle, ob die Bäume einen Meter in oder über der Erde gepflanzt sind.

Wie passt Bäumefällen und Grünflächen für Neubauten zerstören zu grüner Politik?

Das klingt, als würde ich aus lauter Freude Bäume fällen. Die Baumpflege ist nötig. Wir haben 26’000 öffentliche Bäume in Basel. Wir können nicht warten, bis bei einem alten oder kranken Baum bei einem Sturm ein grosser Ast abbricht. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Bäume in einem städtischen Umfeld nicht 300 Jahre alt werden. Der Baumbestand muss immer wieder erneuert werden. Wir pflanzen jetzt Bäume, damit die nächste Generation 80 Jahre Schatten hat. 

Ihr grosses Ziel war, mehr Grünraum in Basel zu schaffen. Von Ihrem Amtsantritt bis Ende 2023 wurden in Basel netto 192 neue Bäume gepflanzt. Sind Sie Ihrem Ziel schon näher bekommen?

In der Planung sicher. In der konkreten Umsetzung sind es kleinere Quick Wins: Den Rheinweg konnten wir begrünen und bei einzelnen Fernwärme-Baustellen, wo wir sehr spät aufgesprungen sind, mehr Grünraum planen. Aber das fahren wir jetzt hoch, dafür und für die Baustellen-Koordination haben wir das 50-Millionen-Franken-Paket im Grossen Rat beantragt.

Als im November die beiden Stadtklimainitiativen von der Stimmbevölkerung abgelehnt wurden, haben Sie das als Vertrauensbeweis für die Arbeit, die Sie schon machen, gesehen. Machen Sie es sich mit dieser Interpretation zu leicht?

So habe ich es von vielen Leuten gehört: Die Weichen sind ja schon gestellt. Sicher haben einige Leute deshalb die Initiativen abgelehnt. Ein absolutes Flächenziel, wie es die Initiativen vorgesehen haben, finde ich nicht sinnvoll.

Als die Initiativen abgelehnt wurden, hat die GLP die Gegenvorschläge nochmal aus der Schublade geholt und als Motion eingereicht. War das wie ein kleiner PR-Stunt, um auch Ihre Position zu stärken?

Da war ich ehrlich gesagt nicht so nahe involviert, Ich bin immer noch der Meinung, wir müssen Strasse für Strasse individuell anschauen und nicht jetzt schon sagen: So viele Quadratmeter Grün und Bäume braucht es. Meine Leute sollen ihre Zeit möglichst in die Planung und nicht in Hochrechnungen investieren. Wichtig ist: Wo reicht es ganz konkret noch für einen Veloweg oder einen Baum? 

Haben Sie eigentlich Ihren VW-Bus noch?

(lacht). Nein. Ich bin schlicht nicht mehr damit gefahren. Er war eines dieser Stehzeuge, wie wir in Basel viele haben, die gar nicht mehr Fahrzeuge genannt werden können, weil man mit ihnen so selten fährt. Bei mir wäre eine grosse MFK angestanden, wo ich hätte recht investieren müssen und das hat sich nicht mehr gelohnt.

Ihre Anwohner*innenparkkarte wäre mit dem VW-Bus recht teuer geworden.

Und ich wäre total bereit gewesen, das zu zahlen. Lustigerweise haben mir sogar viele Leute, die selber ein Auto besitzen, gesagt, sie finden die Erhöhung der Parkkarten-Gebühren gut. Es gäbe bisher keinen Anreiz, einen der vielen Tiefgaragen-Parkplätze, die gemäss Ihrer Recherche frei sind, zu mieten, weil es viel teurer sei als auf der Allmend. 

Aber die Einteilung der Fahrzeuge nach Länge ergibt nicht wirklich Sinn: Die meisten Leute haben ein mittellanges Fahrzeug, und zahlen doppelt so viel. 

Wir erschrecken jedes Jahr bei den neuen Statistiken: Die Autos werden immer länger. Wo ist die gute alte Tendenz zum Smart hin? Für mich macht es absolut Sinn, dass jemand, der mehr Fläche mit seinem Fahrzeug in Anspruch nimmt, mehr zahlt. Das macht man ja bei jeder Wohnung. Das ist für mich ein zutiefst liberaler Ansatz.

Esther Keller Interview, 22. August 2024
«Die ganze Schweiz hat ein Interesse daran, dass Basel nicht ein Nadelöhr ist, wo man mit dem Fern- und Güterverkehr nicht durchkommt.»
Esther Keller übers Herzstück

Es gibt zwei grosse Verkehrsprojekte, die die Region beschäftigen: das Herzstück und der Rheintunnel. Wenn der Bund nur eins finanzieren könnte – für welches entscheiden Sie sich?

Für das Herzstück.

Das ist Ihre Herzensangelegenheit?

Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir viel mit der Bahn machen. Heute ist Basel die einzige Region in der ganzen Schweiz, die keine richtige S-Bahn hat – ein Halbstundentakt ist für mich keine S-Bahn. Das ist einfach unattraktiv. Da brauchen wir viele Investitionen.

Das Projekt soll mindestens neun Milliarden Franken kosten und würde Jahrzehnte dauern, bis es gebaut wird. Hand aufs Herzstück: So viel sind wir in Basel dem Bund nicht wert.

Ich bin überzeugt, dass die ganze Schweiz ein Interesse hat, dass Basel nicht ein Nadelöhr ist, wo man mit dem Fern- und Güterverkehr nicht durchkommt.

Machen Sie genug, um in Bern dafür zu weibeln, dass das Herzstück kommt?

Da mache ich im Moment tatsächlich sehr viel, zusammen mit Isaac Reber. Das ist ein bisschen undankbar: In Basel gewinnt man damit nur bedingt einen Blumentopf, weil es noch zu wenig sichtbar ist. Aber es ist extrem wichtig, denn der Bund beschliesst nächstes Jahr Gelder. Wenn wir jetzt nicht weibeln, setzt sich eine andere Region durch. Ich habe schon so oft mit Albert Rösti gesprochen. Ich sage ihm immer wieder: Der Rheintunnel ist für Basel ein wichtiges Projekt, aber der Bahnausbau auch. Das eine geht nicht ohne das andere.

Sie knüpfen das Herzstück also an den Rheintunnel. Stimmt es, dass der Rheintunnel wirklich so viel mehr Verkehr nach Basel bringt wie Gegner*innen, aber auch Studien sagen?

Ich sage: Das haben wir selber in der Hand. Wir können nicht beeinflussen, was auf der Autobahn läuft, da dies Bundeskompetenz ist, aber wir können beeinflussen, was auf den Stadtstrassen läuft. Die Chance, die ich wirklich beim Rheintunnel sehe, ist, den Schwerverkehr – ein Lastwagen ist zehnmal so laut wie ein Pkw – unter den Boden zu bekommen.

Was machen Sie eigentlich, wenn jetzt im November schweizweit die Initiative zum Autobahnstopp ablehnt wird, aber Basel dazu Ja sagt? Würden Sie dann umschwenken und den Rheintunnel an vorderster Front bekämpfen?

Das wäre eine schwierige Ausgangslage. Der Autobahnausbau ist ja ein Paket. Wir wüssten nicht: Finden die Leute hier jetzt den Rheintunnel okay, aber lehnen die Ausbauschritte in der Restschweiz wie beispielsweise in Luzern ab? Dann müssten wir noch einmal mit dem Basler Parlament in den Dialog gehen und die Ausgangslage analysieren. Bisher ist dort die Haltung: Rheintunnel: Ja, aber. Heisst: Die Leute wollen wirklich eine spürbare Entlastung für die Stadt.

Was den Tram-Ausbau anbelangt, passiert bis auf den Margarethenstich nicht sonderlich viel. Warum machen Sie damit nicht vorwärts?

Die nächsten Lückenschlüsse wären der Claragraben und der Petersgraben. Da habe ich mir die Projekte, angesehen und gemerkt, dass die Pläne heute nicht mehrheitsfähig sind: Der Grünanteil war noch nicht genug verankert und beim Petersgraben hat die Berücksichtigung des Veloverkehrs noch nicht gestimmt. Also sind wir in die Überarbeitung gegangen.

«Irgendwann steige ich sicher aus der Politik aus.»
Esther Keller über ihre Zukunftspläne

Der Überschuss in Basel ist jedes Jahr ein Thema. Nun haben wir 434 Millionen Franken Überschuss. Was wollen Sie damit machen: Steuern runter oder sinnvoll investieren?

Ich finde den Ansatz extrem spannend, nach dem Rechnungsabschluss jeweils zu überlegen, ob man etwas an die Bevölkerung zurückgibt. Es ist ja auch nicht klar, ob das mit dem Überschuss in den nächsten Jahren so bleibt. Ich glaube, mit den Gesundheits- und Bildungskosten kommen schwierige Zeiten auf uns zu. Wenn man jetzt also mit den Steuern runter geht und danach wieder erhöhen muss – das würden die Leute nicht schätzen.

Wenn Sie die ganze Summe investieren müssten: Was würden Sie damit machen?

Wir müssen generell viel investieren in den nächsten Jahren. Der grüne Asphalt, der CO2 bindet, ist schon teurer als der normale. Auch Pionierprojekte aus wiederverwendeten Materialien sind teurer. Und allein für die Planungsressourcen, dass wir im Zuge des Fernwärmeausbaus mehr begrünen können, beantragen wir dem Parlament 50 Millionen Franken. Für Netto-Null 2037 brauchen wir schon viele Investitionen.

Haben Sie also Sympathien für den Vorschlag von Anina Ineichen für einen Klimafonds?

Wir haben schon den Mehrwertabgabenfonds und den Mobilitätsfonds. Das eine ist für Begrünungsmassnahmen und das andere für nachhaltige Mobilitätslösungen. Ich bin etwas kritisch gegenüber noch mehr Fondslösungen. Ich glaube, wir müssen bei jedem Steuerfranken schauen, dass wir ihn sorgfältig einsetzen. Eigentlich muss ja bei allem, was wir entscheiden, ein grosser Fokus auf dem Netto-Null-Ziel sein.

Kommen wir zur letzten Frage. Sie sind 39 Jahre alt und werden bald 40. Was wollen Sie eigentlich mal werden, wenn Sie nicht mehr Regierungsrätin sind?

Im Gegensatz zu anderen, die spät ins Amt kommen, stellt sich diese Frage bei mir schon. Ich habe mir diese Gedanken allerdings noch nicht gemacht. Bisher habe ich immer Glück gehabt: In meinem Leben haben sich Dinge bisher immer ergeben. Aber ich weiss, ich werde irgendwann zurück in die Privatwirtschaft gehen.

Sie wollen sicher aus der Politik aussteigen?

Ja, weil die Prozesse in der Privatwirtschaft einfach schneller sind. Das ist eine schöne Perspektive, aber noch nicht für jetzt.

Machen Sie noch vier oder acht Jahre?

Das werde ich mich nach sieben Jahren Amtszeit fragen: Bin ich immer noch frisch, habe ich noch den gleichen Drive? Die Frage muss man sich ehrlich stellen. Deshalb: Fragen Sie mich in drei Jahren nochmal.

Machen wir. Vielen Dank für das Interview.

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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

Kommentare

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Axel Schubert
Dipl.-Ing. Arch, Stadtplaner / Dozent Nachhaltigkeit FHNW

trotz lauterer Lastwagen: keine wahrnehmbare Lärmveränderungen durch Rheintunnel

In der letzten Zeit scheint der Lärm durch Lastwagen eines von Esther Kellers liebsten Argumenten zu sein. Ja, sie sind etwa 10mal lauter, als Autos. ABER: Auch mit dem Rheintunnel verschwinden nicht alle Lastwagen auf dem heutigen Trassee. UND da der Lärm nicht linear mit der Fahrzeuganzahl abnimmt, wird auch der Lärm durch den Rheintunneln NICHT etwa 10mal kleiner. VIELMEHR zeigt der Umweltverträglichkeitsbericht (Stufe 3, Beilage i.1.1.1 zur Auflageplanung, S.197) in einer Grafik, dass es auf der bestehenden (und bleibenden) Autobahn über die längsten Streckenabschnitte KEINE wahrnehmbare Lärmminderung gibt (zT gibt es Lärmzunahme, zT, v.a. im Bereich Schwarzwaldbrücke auch Lärmabnahme). Warum dann immer wieder dieses Argument? Weil es ohne besseres Wissen schnell verfängt? Da ziehe ich sachliche populistischen Argumenten vor.