Grüne stellen rot-grünes Erfolgsrezept infrage

Konstruktiv diskutiert die Partei, ob eine Kandidatur bei den Regierungsratsersatzwahlen sinnvoll ist. Dabei legt sie offen, dass sie ihre Strategie für mehr grüne Relevanz nicht nur in einem linken Bündnis sieht.

Grüne nominierten Jerome Thiriet als Regierungsratskandidaten. Aurel Schmidlin (JGB) gratuliert ihm.
Aurel Schmidlin vom JGB gratuliert Jérôme Thiriet. Die Jungpartei hatte angekündigt, seine Kandidatur zu unterstützen, wenn die Partei sich entscheidet, bei den Ersatzwahlen anzutreten. (Bild: David Rutschmann)

Zuerst mal das Offensichtliche: Die Grünen stehen hinter Jérôme Thiriet. Es hätte ein blamabler Nachmittag im Frühstückssaal des Hotel Gaia werden können für den Grossrat und Velokurier-Geschäftsführer. Doch als ihn Aurel Schmidlin, Vorstandsmitglied der zuletzt als aufmüpfig empfundenen Jungpartei JGB, direkt nach seiner offiziell von der Mitgliederversammlung abgesegneten Nomination als Regierungsratskandidat umarmte, wirkte das wie ehrliche Unterstützung. 

Die überraschende Ankündigung der grünen Kandidatur für einen freien Sitz in der Basler Regierung am 3. März – jetzt, da Beat Jans Bundesrat ist – hat nicht nur die SP irritiert (Bajour berichtete), sondern auch einige grüne Parteimitglieder. So erzählt eine ältere Dame, dass sie mit der Vorstellung herkam, dass eine Grünen-Kandidatur eine «biirewaiche Idee» sei: «Aber jetzt finde ich, dass es eine geniale Strategie ist.» 

Für Grünen-Mitglieder mögen die Argumente einleuchtend tönen. Als drittgrösste Partei ist man nicht in der Regierung vertreten, während halb so wähler*innenstarke Parteien (Mitte, GLP) ihren Platz dort haben. Der daraus abgeleitete Regierungsanspruch, den auch die Gegner*innen der Thiriet-Kandidatur nicht infrage stellen wollen, sei eben nur glaubhaft, wenn man schon bei der jetzigen Gelegenheit antritt (und nicht erst im Herbst), so Co-Präsidentin Raffaela Hanauer.

«Wenn wir nicht antreten, wird es im Wahlkampf nicht um grüne Themen gehen.»
Guy Morin, Ex-Regierungspräsident Grüne

Gewicht für die Mitglieder an der Basis hat auch das Wort von Ex-Regierungspräsident Guy Morin, der sagt: «Wenn wir nicht antreten, wird es im Wahlkampf nicht um grüne Themen gehen.» Denn während Beat Jans mit seinem Fokus auf Klimapolitik noch ein aus grüner Sicht genehmer Regierungsrat gewesen sei, habe sich der jetzige SP-Kandidat Mustafa Atici bislang nicht sonderlich als grüner Politiker profiliert, so Morin.

Und: Man sei überzeugt, dass eine grüne Kandidatur die Grünen-Basis mehr mobilisiert, als wenn nur die SP antritt und von den Grünen unterstützt wird. «Das merkt man ja nur schon am heutigen Andrang, dass eine eigene Kandidatur unsere Mitglieder mobilisiert», sagt Vorstandsmitglied Remo Thalmann. Tatsächlich mussten wegen der unerwartet vielen Leuten neue Stühle in den Frühstückssaal des Hotels gebracht werden.

Die Kritik an der von vielen als risikoreich eingeschätzten Strategie der Partei wird sogleich schon von Hanauer vorausgegriffen: «Wir glauben, dass wir mit dieser Mobilisierung sogar einen weiteren linken Sitzverlust verhindern.» Parteiinterne Kritiker*innen wie das junge grüne Bündnis (JGB), das sich im Vorfeld gegen die Kandidatur ausgesprochen hatte (Bajour berichtete), befürchten: Zwei linke Kandidaten spalten die linke Wähler*innenschaft; man verzettelt sich; der geeinte bürgerliche Block gewinnt. Dass die linken Reihen sich in einem zweiten Wahlgang, auf den die grünen Strateg*innen spekulieren, wieder schliessen, daran haben die Kritiker*innen Zweifel.

«Ist die rot-grüne Mehrheit noch unser Erfolgsrezept?»
Raffaela Hanauer, Co-Präsidentin Grüne Basel

Doch dieses Blockdenken will der Grünen-Vorstand eben durchbrechen. Nicht nur, weil Regierungsratswahlen auch Personenwahlen sind, wie Hanauer betont. Sondern auch, weil die Partei ganz unverblümt auch abseits des linken Wähler*innenpools auf Stimmenfang gehen will. «Wir müssen auch mehr Leute mitnehmen als nur unsere Basis», sagt Hanauer.

Das ist dann fast das Bemerkenswerteste an dieser Mitgliederversammlung: Die Basler Grünen schenken Einblicke in ihre mittelfristige Strategie, die mit der Auflösung des Bündnisses mit der Basta seinen Anfang nahm. Hanauer zeigt klimapolitische Erfolge auf, welche die Partei im Grossen Rat in Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien erreicht hat. Und stellt dann rhetorisch die Frage in den Raum: «Ist die rot-grüne Mehrheit noch unser Erfolgsrezept?»

Oliver Thommen sammelt Stimmen bei der Mitgliederversammlung der Grünen.
Oliver Thommen sammelt Stimmen. (Bild: David Rutschmann)

Das scheint genau den grünen Alleingang zu besiegeln, der einigen Mitgliedern schwer im Magen liegt. Grossrätin Fleur Weibel spricht von Zerwürfnissen mit «unseren wichtigsten Verbündeten». Auch Grossrat Raphael Fuhrer sagt: «Wir dürfen nicht nur an den Regierungsrat denken, sondern auch an den Grossen Rat.» Er ruft 10’000 Stimmen von SP-Wähler*innen für grüne Kandidat*innen bei den letzten Wahlen in Erinnerung – einen Affront gegen die SP im Wahljahr ist seiner Meinung nach ein Wagnis, das in nächster Zeit jeglichen Regierungsanspruch der Grünen riskieren könnte.

Doch der Vorstand schafft es, den Mitgliedern ein grünes Selbstbewusstsein zu verleihen. Mit jedem Mal, bei dem gesagt wird «Wir greifen nicht einen SP-Sitz an», klingt es weniger versöhnlich und patziger. Und das spiegelt sich auch im Ergebnis wieder. 63 von 83 Stimmenden entschieden sich (bei fünf Enthaltungen) für den Antritt zu den Wahlen, 70 segneten anschliessend Thiriet als Kandidaten ab.

Der Velokurier-Unternehmen, dessen Wahlwerbung schon seit einigen Tagen auf den Tram-Bildschirmen erscheint,  zeigte sich im Nachhinein erleichtert über die Nomination und dankbar für die konstruktive Debatte. Schliesslich wurde er nicht zum Gesicht einer grünen Strategie, die nicht aufgeht – zumindest vorerst.

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Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

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