Hoffnungsträger*in, where are you?

So viel Euphorie wie FCB-Rückkehrer Xherdan Shaqiri oder US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris verbreiten, sucht man im Basler Wahlkampf vergebens. Basel-Stadt steckt glücklicherweise in keiner Krise. Hoffnung könnten die Menschen trotzdem gut gebrauchen, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

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(Bild: Keystone/Ursula Sprecher & Andi Cortellini, Collage: Bajour)

Die Meldung zu Xherdan Shaqiris Rückkehr habe ich mit einem leichten Schulterzucken hingenommen. Okay, ist der Fussballspieler halt wieder bei seinem Heimatverein. Ich habe die Euphoriedusche, die er über den Fans aufgedreht hat, vollkommen unterschätzt. Wie sehr die FCB-Fangemeinschaft nach einem Hoffnungsträger wie ihm gelechzt hat, wurde mir erst bewusst, als ich die Szene vom Balkon gesehen habe. Shaqiri erschien wie der neugeborene Sohn bei König der Löwen. Oder ein neu erkorener Papst. Nicht mal der Rauch fehlte. Emotionen pur.

Keine grossen Überraschungen zu erwarten

Ein ähnliches Gefühl der frisch geschöpften Hoffnung erlebe ich dieser Tage, wenn ich die  Wahlveranstaltungen der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris verfolge. Jetzt, da sich auch noch die Obamas voll und ganz hinter sie gestellt und den lange erfolgreichen Angstbewirtschafter Donald Trump rhetorisch bloss gestellt haben, gibt es sie wieder: Hope.

Wo bleibt bei den Basler Gesamterneuerungswahlen die Euphorie? Eine Euphorie wie für Shaqiri? Ich spüre sie nicht.

So pathetisch und personenkultig der US-Wahlkampf auch sein mag – wo bleibt bei den Basler Gesamterneuerungswahlen die Euphorie? Eine Euphorie wie für Shaqiri? Ich spüre sie nicht. Die Kandidat*innen sind engagiert und hüpfen von Podium zu Interview zu Streitgespräch, aber grosse Hoffnung oder Menschenansammlungen provoziert niemand.

Woran liegt das? Zum einen wohl daran, dass keine grossen Überraschungen erwartet werden. Höchstwahrscheinlich werden alle bestehenden Regierungsrät*innen wiedergewählt (ob im ersten oder zweiten Wahlgang). Conradin Cramer ist erst vor knapp 100 Tagen ins Amt gestartet, genauso wie Mustafa Atici – den beiden gönnt die Stimmbevölkerung wohl noch ein paar Jahre, um auf ihre Worte Taten folgen zu lassen. Kaspar Sutter und Lukas Engelberger scheinen genauso gesetzt zu sein wie Tanja Soland. Und Esther Keller bekommt zwar viel Baumtopf-Kritik, aber dass Eva Biland, Stefan Suter, Anina Ineichen oder Oliver Bolliger sie verdrängen könnten, daran glaubt nicht wirklich jemand. Manche sehen den Wahlkampf ja auch eher als mittelfristiges Mittel zur Profilierung: Dabei sein ist alles.

Einfache Lösungen gibt es selten

Auch Stephanie Eymann dürfte trotz des wenig schmeichelhaften Schefer-Berichts fest im JSD-Sattel sitzen bleiben. Aber: Eymanns Augenringe zeigen deutlich, wie sehr ihr die vergangenen vier Jahre aus Debatten um Demos, Drogen und Kriminalität in die Knochen gefahren sind. Ihr neuer Hoffnungsträger heisst Thomas Würgler. Der Polizeikommandant ad interim soll helfen, die Basler Polizei und ihr Fachkräfte- bzw. ihr Sexismus- und Diskriminierungsproblem zu heilen. Mobilisiert Würgler die Massen? Eher weniger. Die nötige Aufarbeitung und der gewünschte Kulturwandel brauchen Zeit und hängen nicht nur am neuen Kommandanten. Hoffnung darf man haben, Zweifel jedoch auch.

Je grösser die Unzufriedenheit, desto grösser der Hunger nach Machtmenschen mit einfachen Wahrheiten und klaren Feindbildern.

Wo steckt also Basels Hoffnungsträger*in? Oder braucht es eine solche abzufeiernde Person gar nicht? Die fehlende Euphorie liegt wohl auch darin begründet, dass – anders als die US-Politik oder der FCB – der Kanton nicht in einer tiefen Krise steckt. Vielen Menschen in Basel geht es finanziell gut, der Kanton und die Region bieten eine hohe Lebensqualität. Und ja, die Baustellen nerven, aber es gibt Schlimmeres, als in die Infrastruktur zu investieren. Unbezahlbare Wohnungen; Gesundheitskosten, die einen grossen Teil des Lohns auffressen; die Sorge, im Alter arm zu sein; Angst, nicht in Frieden leben zu können; die Folgen des Klimawandels. Ein Kanton mit mehr als 300 Millionen Franken Überschuss im Jahr kann da etwas bewirken.

Hoffnung braucht es aber auch bei vergleichsweise kleinen Problemen. Je grösser die Unzufriedenheit, desto grösser der Hunger nach Machtmenschen mit einfachen Wahrheiten und klaren Feindbildern. Einfache Lösungen gibt es aber selten, das wissen nicht zuletzt auch diejenigen, die die Weichen für Nettonull 2037 stellen müssen. Hoffen wir also, dass es nicht erst eine Krise braucht (wer weiss, ob es mit den Überschüssen so üppig weiter geht?!) oder noch mehr Angst vor Populist*innen, damit in Basel Euphorie aufkommt. Eine Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent wäre ein Anfang. 

Basel Briefing

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