Israels Teilnahme am ESC ist umstritten

Während das Motto des Eurovision Song Contest «United by music» Zehntausende Besucher*innen nach Basel zieht, spaltet die Debatte um die Teilnahme Israels die Gemüter. Wir haben unsere Leser*innen gefragt, was sie von einem Ausschluss Israels halten.

Palästina_Kundgebung Rathaus ESC
Der Nahostkonflikt beschäftigt auch die Basler Politik während des ESC. (Bild: Valerie Wendenburg)

Die ESC-Eröffnungsfeier quer durch Basel wurde von einem Demozug mit Palästinafahnen und «Free, Free Palestine»-Rufen begleitet. Und es werden, unter anderem vom letztjährigen Schweizer ESC-Act Nemo, Aufrufe laut, die einen Ausschluss Israels vom Gesangswettbewerb fordern. In einem offenen Brief haben sich über 70 weitere ehemalige ESC-Teilnehmer*innen für einen Ausschluss ausgesprochen. 

Grund: Israel führt seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober einen Verteidigungskrieg, dessen Ende offensichtlich nicht in Sicht ist. Darunter leidet insbesondere die Zivilbevölkerung. Der israelische Premier Benjamin Netanyahu kündigte in diesen Tagen ein neue Militäroffensive in Gaza an. Die humanitäre Krise ist bereits heute verheerend. Ein Ausschluss Israels komme für die verantwortliche European Broadcasting Union (EBU) aber nicht infrage, schreibt die BaZ

Rege Beteiligung

Wir wollten von unserer Community wissen, was sie von der Forderung hält und fragten: «Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden?». Antworten kamen zuhauf. 

Als die Abstimmungsergebnisse plötzlich auf beiden Seiten in die Höhe schnellten, stellte Bajour fest, dass mehrere Manipulationsversuche von Befürworter*innen wie Gegner*innen unternommen wurden. Die unseriösen Stimmen haben wir entfernt und die Abstimmung geschlossen. Wichtiger sind bei der polarisierenden Debatte ohnehin die Kommentare, damit konstruktiv diskutiert werden kann. Diese können nach wie vor abgegeben werden.

2025-05-13 Frage des Tages Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden-1
Frage des Tages

In unserer Frage des Tages fragen wir unsere Community, ob Israel von ESC ausgeschlossen werden sollte. Die Debatte ist kontrovers.

Diskutiere mit!

Geht es beim ESC denn nun um Musik oder um Politik? Das fragt sich Mitte-Politikerin Beatrice Isler-Schmid. Sie schreibt: «Mir vermischt sich die Politik mit dem Anlass zu sehr. Die Sängerin aus Israel ist letztlich nicht verantwortlich für die Politik der dortigen Kriegsgurken.» Es gäbe zudem viele Israelis, die mit dem Krieg nicht einverstanden seien. 

Claudia His Gonon kritisiert, dass «auf den Schultern» der israelischen Sängerin Politik gemacht werde: «Ich kann nicht verstehen, wieso ein Ereignis wie der ESC für eine politische Manifestation missbraucht werden kann. Zumal Yuval Raphael eine der Überlebenden des 7. Oktobers ist.» Sie überlebte den Hamas-Anschlag auf das Musikfestival. Dass Raphaels Auftritt politisch ist, ist auch für Lucas Gerig, Bürgerrat der Stadt Basel, klar. Er findet, wenn man die Kriegsverbrechen der Regierung Netanyahu anprangere, müsse man auch jene der Hamas nennen. «Zudem: Das unsägliche Leid in Gaza hat viel mit den Hamas zu tun.»

«Boykotte nützen den bemitleidenswerten Menschen im Gazastreifen rein gar nichts.»
Florian Suter, Bajour-Leser

Auch aus Sicht von Soziologe Martin Hafen ist der ESC politisch, weil einige Länder aus politischen Gründen von der Teilnahme ausgeschlossen sind – etwa Russland oder Weissrussland. Er fragt: «Was ist das Kriterium, dass der Staat Israel nicht ausgeschlossen wird?» Und er verweist unter anderem auf die Tatsache, dass der internationale Strafgerichtshof sich mit der Frage beschäftigt, ob man beim israelischen Vorgehen in Gaza von Völkermord sprechen könne. Er schreibt: «Zumindest bis die Frage geklärt ist, sollte Israels Teilnahme ausgesetzt werden.» Es sei denn, die EBU messe mit gleichen Ellen und lasse Länder wie Russland auch wieder zu.

Auf Verständigung setzen

Es gibt aber auch zahlreiche Stimmen, die sich gegen einen Ausschluss Israels aussprechen. So auch Bajour-Leser Florian Suter, der Boykott in Sport und Kultur nicht für intelligent hält. Er verweist auf den Schweizer Schriftsteller Thomas Meyer, der vor in einem Interview mit Tamedia aufzeigt, «wie wenig überlegt solche Boykott-Forderungen sind – einfach, weil die furchtbare und unbedingt zu verdammenden Ereignisse im Gazastreifen Folge einer jahrhundertealten Entwicklung sind». Suter ist zudem der Ansicht, dass Parteinahmen in komplexen Situationen wie der in Israel und Gaza «den bemitleidenswerten Menschen im Gazastreifen rein gar nichts nützen» würden. 

Auch der Friedensaktivist Jochi Weil-Goldstein spricht sich gegen einen Ausschluss Israels aus. Er sieht sich als Brückenbauer zwischen Jüd*innen und Palästinenser*innen und hält es für sinnvoller, weiterhin auf Verständigung zu setzen. 

«Die Welt ist seit Entstehung des ESC viel unüberschaubarer, diverser und komplexer geworden. Höchste Zeit ein Konzept auszuarbeiten.»
Isabelle Bellakovics-Aebin, Bajour-Leserin

Einen anderen Fokus setzt David Tréfás, da er unter dem Stichwort «Diversity» auf die «sehr lebendige LGBTQ-Szene» in Israel verweist und schreibt: «Zunächst geht es um einen Gesangswettbewerb, in zweiter Linie um LGBTQ.» Dieses Argument aber mag Basta-Vorstand Laurеnt Schüрbach nicht gelten lassen.

Er spricht von «Pinkwashing» und schreibt: «Israel mag in Bezug auf LGBT-Rechte im Nahen Osten fortschrittlicher erscheinen, doch dieser Fortschritt sollte nicht instrumentalisiert werden, um die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber Palästinensern zu verbergen.» Seiner Ansicht nach sei es wichtig, die Komplexität der Situation zu erkennen. 

An ganz neue Wege für die Zukunft denkt Isabelle Bellakovics-Aebin, die anregt, den «alten Zopf» ESC neu zu flechten. Denn warum Israel (und Australien) dabei sein dürfen und andere Länder nicht einmal ein Thema seien, ist aus ihrer Sicht «extrem überholt und unfair». Sie schreibt: «Die Welt ist seit Entstehung des ESC viel unüberschaubarer, diverser und komplexer geworden. Höchste Zeit ein Konzept auszuarbeiten, um andere Gäste dazu zu laden. Warum nicht auch einmal Palästina? Oder Vietnam? Oder Uruguay?» 

Politik hat Fragen

Die israelische Teilnahme am ESC beschäftigte diese Woche nicht nur die Bajour-Community, sondern auch die Basler Politik. Regierungsrätin und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann beantwortete am MIttwoch im Grossen Rat Interpellationen zum Thema. So wollte GLP-Grossrat Tobias Christ vom Regierungsrat wissen, warum eine Standkundgebung gegen «Antisemitismus rund um den ESC», die für den 15. Mai geplant war, keine Bewilligung vom Kanton erhalten hatte. Er fragte unter anderem, wie es sein könne, dass in Basel die Meinungsäusserungsfreiheit hochgehalten werde, eine Standkundgebung mit dem Ziel der Sensibilisierung auf Antisemitismus aber nicht erlaubt werde. 

«Mit der Standaktion auf dem Münsterplatz konnte eine Lösung gefunden werden.»
Stephanie Eymann, Sicherheitsdirektorin

Eymann machte klar, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu den tragenden Pfeilern der Demokratie gehörten und der Kanton grundsätzlich keine inhaltliche Bewertung der Anliegen von Gesuchsteller*innen vornehme. Im konkreten Fall hätten die erhöhten Sicherheitsanforderungen aufgrund der «aufgeheizten internationalen Lage» und bekannter Aufrufe zu Störungen so spontan nicht gewährleistet werden können, so Eymann. Sie kündigte aber an, dass nun eine Standaktion auf dem Münsterplatz bewilligt worden und somit eine Lösung gefunden worden sei.

Ein grundsätzlich friedlicher Anlass

In einer weiteren Interpellation von FDP-Grossrat Johannes Barth nahm Eymann Stellung zur der Tatsache, dass pro-palästinensische Aktivist*innen die israelische Delegation während der Eröffnungszeremonie über eine längere Strecke habe begleiten können. Die Sicherheitsdirektorin sagte, sie könne nachvollziehen, dass das Ereignis bei den Betroffenen für Besorgnis gesorgt habe. Sie machte aber auch deutlich, dass zu keiner Zeit eine Gewaltanwendung vorgelegen habe, die ein Einschreiten der Polizei gerechtfertigt hätte. Eymann betonte auch, dass der Anlass einen grundsätzlich friedlichen Charakter gehabt habe und der Kanton stets in gutem Austausch mit der israelischen Delegation gestanden habe. 

Für die kommenden Tage sind weitere Kundgebungen von israelischer wie auch von pro-palästinensischer Seite angekündigt. Der Auswirkungen des Nahostkonflikts werden die Basler Politik und Sicherheitskräfte sicher bis zum Ende des ESC auf Trab halten.

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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