Es braucht eine echte Debatte
Die Besetzung des Basler Bernoullianums wurde nach zwei Tagen durch die Polizei beendet. Einen konstruktiven Austausch hat es bisher nicht gegeben, obwohl die Uni wie auch die Aktivist*innen Redebedarf haben. Ein Dialog ist möglich und längst überfällig. Ein Kommentar.
Die Basler Uni und ihre Student*innen haben zwei bewegte Tage hinter sich: Sie begannen am Montag mit einer Eingangskontrolle für Studierende und endeten am Mittwoch damit, dass das besetzte Bernoullianum von der Polizei geräumt wurde. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Es gab Forderungen, Gesprächsbedarf, Vermittlungsversuche und Enttäuschung auf beiden Seiten. Kurz darauf wurden einige von ihnen eingekesselt. In ihrer Medienmitteilung kritisieren die Besetzer*innen die Uni scharf. Auch die Universität zeigt sich enttäuscht darüber, dass die pro-palästinensischen Student*innen nicht auf die angebotenen Kompromisse eingegangen waren. Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als seien die Fronten verhärtet, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um verpasste Chancen wahrzunehmen.
Die Leitung der Uni Basel hat den direkten Dialog bisher gescheut. Gelegenheiten, Debatten zum Nahost-Konflikt zu lancieren, gab es ausreichend. Sie wurden nicht wahrgenommen und waren auch nicht gewollt. Dies wurde an einem Anlass im Kollegienhaus Anfang Mai deutlich, als knapp 400 Interessierte zum Podium über Postkoloniale Theorien kamen. Gleich zu Beginn wurde klar gemacht, dass an diesem Abend der Nahost-Konflikt kein Thema sein solle. Dabei waren die meisten der Anwesenden genau aus diesem Grund gekommen.
Die Besetzung ist zwar beendet, der Diskussionsbedarf aber nach wie vor vorhanden.
Das passive Verhalten der Uni-Leitung ist Rektorin Andrea Schenker-Wicki nun um die Ohren geflogen. Die Buh-Rufe, die Unisprecher Matthias Geering am Montagabend en masse einstecken musste, als er mehr als eine Stunde mit den Besetzer*innen sprach, galten nicht ihm, sondern dem Rektorat. Auch nach der Räumung riefen die Aktivist*innen auf dem Petersplatz mit einem Megafon nach Schenker-Wicki. Sie wollten mit ihr reden, nicht mit dem Pressesprecher. Und am zweiten Tag schätzten die Besetzer*innen zwar, dass sich Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel als Vermittler versuchte. Sein Auftritt im besetzten Haus machte den Aktivist*innen aber erneut klar, dass die Rektorin das direkte Gespräch mit ihnen verweigert und andere vorschickt. Immer wieder war von den Besetzer*innen zu hören, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen.
Die Universität hat nun die Chance, mit ihren Studierenden ins Gespräch zu kommen. Die Besetzung ist zwar beendet, der Diskussionsbedarf aber nach wie vor vorhanden. Und die Besetzer*innen kündigten auf Social Media an, dass sie sich mit der Situation nicht zufrieden geben werden. Ein Dialog muss also stattfinden – auch im Sinne der Studierenden, die sich in der Prüfungsphase befinden.
Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die Rektorin mit den Besetzer*innen zusammensetzt und die Debatte wagt.
Wenn nun ein Dialog stattfindet, müssen beide Seiten aufeinander zugehen. Die Uni hat bereits erste Schritte gemacht. Sie hat klar kommuniziert, dass das Rektorat offen wäre, sich unter anderem proaktiver für den Schutz und die Unterstützung palästinensischer Studierender und Lehrender einzusetzen. Auch wenn sich die Uni aus guten Gründen nicht bereit dazu erklärt, israelische Institutionen zu sanktionieren oder die Mitwirkung an israelischen Forschungsprojekten zu beenden, so ist es zumindest ein Anfang. Die Unileitung zeigte sich auch nach der Räumung bereit, mit den Studierenden über deren Anliegen zu sprechen. Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die Rektorin mit den Besetzer*innen zusammensetzt und die Debatte wagt. Sodass die Studierenden sich mit ihren Sorgen ernst genommen fühlen.
Dass Studierende protestieren, ist kein neues Phänomen, und es stellt sich die Frage: Wo sollten die Debatten denn ausgetragen werden, wenn nicht an einer Universität? Es gibt kaum einen geeigneteren Ort, um in einen Diskurs zu treten und Wissen zu vermitteln.