Ultimatum verschoben, Besetzer*innen wollen bleiben

Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel fungiert als Vermittler zwischen den pro-palästinensischen Protestierenden und der Uni-Leitung. Doch der Kompromissvorschlag lässt die Besetzer*innen kalt. Ein Bericht von Tag 2 der Uni-Besetzung.

Pro-Palästina-Demonstration, Besetzung Bernoullianum Uni Basel, 14. Mai 2024
Kundgebung vor dem Bernoullianum. Die Besetzer*innen sind noch nicht bereit, abzuziehen. (Quelle: David Rutschmann)

Sie wollen bleiben. Das machten die Besetzer*innen des Bernoullianums am zweiten Tag deutlich. Am Montag hatten pro-palästinensische Aktivist*innen das Gebäude übernommen (Bajour berichtete) – der Ankündigung der Universitätsleitung zum Trotz, ab Montag aus Sorge vor genau solchen Protesten Einlasskontrollen an der Uni durchzuführen.

Nach einer erfolglosen Aussprache zwischen Uni-Mediensprecher Matthias Geering und den Besetzer*innen am Montagabend folgte am Dienstagmorgen das Ultimatum der Universitätsleitung: Bis um 20 Uhr sollen die Besetzer*innen das Bernoullianum verlassen, damit der geordnete Uni-Betrieb wieder darin stattfinden kann. Bei Unterlassen könnten disziplinarische Massnahmen bis hin zum Ausschluss aus der Uni folgen.

Diese Ankündigung sorgte auch ausserhalb des Besetzungs-Camps am Bernoullianum für Empörung. Im offiziellen Telegram-Chat der Gruppe «Uni Basel For Palestine» wird ein offener Brief an die Unileitung geteilt, den mehr als 50 Dozierende und Professor*innen der Uni Basel unterzeichnet haben sollen.

Darin heisst es: «Auch wenn wir zu den konkreten Forderungen der Studierenden nicht Stellung nehmen, sind wir der festen Überzeugung, dass unsere akademische Gemeinschaft nur dann gedeihen kann, wenn wir eine offene Diskussionskultur pflegen und die Vielfalt der Meinungen und Ansätze in den Vordergrund stellen. In diesem Geist der Vielfalt (der auch im Code of Conduct unserer Universität zum Ausdruck kommt) und einer Kultur der kritischen Debatte bitten wir das Rektorat, von der Androhung disziplinarischer Massnahmen gegen die Studierenden abzusehen.»

Pro-Palästina-Demonstration, Besetzung Bernoullianum Uni Basel, 14. Mai 2024
Man wappnet sich mit Schlafsäcken für die zweite Nacht im besetzen Bernoullianum. (Quelle: David Rutschmann)

Dienstag, 18 Uhr, Hörsaal im Bernoullianum: Das Plenum der Besetzer*innen ist zu einer Menge von rund 250 Personen angewachsen. Darunter sind Studierende, aber auch Familien mit kleinen Kindern und ältere Ehepaare. Auf dem Programmpunkt steht nun, zu besprechen, wie man mit dem Ultimatum der Universität umgeht. Schon während des Nachmittags hat sich abgezeichnet: Man will bleiben. Also wird im Plenum besprochen, was eine polizeiliche Räumung bedeuten würde.

Dann tritt Laurent Goetschel ans Redner*innenpult. Der Direktor des Friedensforschungsinstituts Swisspeace – selbst seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 Zielscheibe von Kritik, weil er sich aus Friedensforschungs-Sicht gegen ein Hamas-Verbot aussprach – trat als Vermittler in Erscheinung. Unisprecher Matthias Geering habe ihn kontaktiert, um einen Kompromissvorschlag vorzustellen, der die Forderungen der Besetzer*innen aufgreift:

  1. Die Unileitung kündigte an, das Ultimatum um 12 Stunden zu verlängern, also bis Mittwochmorgen, 8 Uhr. (Diese Ankündigung wurde mit Buhen quittiert)
  2. Wenn das Bernoullianum bis 8 Uhr geräumt ist, würde die Unileitung unter Vermittlung Goetschels mit einer Gruppe Studierenden in den Dialog treten.
  3. Das Rektorat wäre bereit, Forschungszusammenarbeiten mit Israel genauer zu überprüfen, um beispielsweise herauszufinden, ob zivile Technologien auch militärisch eingesetzt werden.
  4. Das Rektorat stellt sich auf den Standpunkt, dass alle finanziellen Flüsse der Uni bereits transparent zur Verfügung stünden. Die Uni sieht diesbezüglich keinen Handlungsbedarf.
  5. Das Rektorat ist offen, sich proaktiver für den Schutz und die Unterstützung palästinensischer Studierender und Lehrender einzusetzen. Goetschel erklärte dem Plenum, dass die Uni hier Verhandlungsbereitschaft signalisiert habe.
  6. Das Rektorat ist nicht bereit, israelische Institutionen zu sanktionieren und die Zusammenarbeit mit ihnen oder die Mitwirkung an israelischen Forschungsprojekten zu beenden.

Eine Besetzerin verlässt daraufhin den Raum, die Worte «Waste of time» auf den Lippen. Erst am Nachmittag hatten die Besetzer*innen in einem Instagram-Post deutlich gemacht, warum ihnen die Beendigung der Zusammenarbeit mit israelischen Unis so wichtig ist, solange es keinen Waffenstillstand in Gaza gibt. Darin zeigen sie auf, inwiefern die Universitäten mit der israelischen Militärakademie und dem Geheimdienst zusammenarbeiten und somit in das militärische Vorgehen in Gaza verwickelt seien:

Laurent Goetschel entfernt sich wieder aus dem Hörsaal. Nun seien die Besetzer*innen am Ball, die bis 7 Uhr morgens Zeit haben, um der Unileitung zu signalisieren, was sie von dem Kompromissvorschlag halten.

Dass auf Basis dieser Bedingungen kein Entgegenkommen möglich sei, wird schon kurz darauf klar, als sich die Besetzer*innen auf dem Gelände vor dem Bernoullianum einfinden. Als man noch von einem Ultimatum an diesem Abend ausgegangen war, hatte man via Social Media zu einer Solidaritätskundgebung mobilisiert, zu der auch zahlreiche Unterstützer*innen erscheinen. Je mehr Leute, desto unwahrscheinlicher sei eine Räumung, so die Maxime.

«We stay here» skandiert die Menge nach einer Ansprache. Statt Angst vor der Räumung zu haben, fühlen sich die Besetzer*innen eher empowert – die Verschiebung des Ultimatums wird als Zeichen der Stärke und Standhaftigkeit der Bewegung angesehen, wie ein Sprecher mit Megafon klarstellt. Man feiert mit der Soldaritätsyhmne zu den propalästinensischen Studierendenprotesten in den USA, «Hinds Hall» vom Rapper Macklemore:

Bei der Kundgebungen werden auch Parolen gerufen, die nicht allen gefallen dürften. «From the river to the sea, Palestine will be free» ist das beste Beispiel eines Slogans, der von verschiedenen Gruppen sehr unterschiedlich aufgefasst wird. Laut Tagesanzeiger verstehen pro-palästinensische Gruppen darin hauptsächlich den Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung auf dem Gebiet des historischen Palästina, inklusive Israel. Da der Spruch aber auch von der radikalislamischen Hamas verwendet wird (der Spruch ist älter als die Terrorgruppe), verstehen ihn manche als eine Drohung, einen Aufruf zur Auslöschung Israels. Experte Hans Stutz ordnete den Slogan im Februar bei Bajour als nicht klar antisemitisch ein. Die Besetzer*innen selbst legen in ihren «Hausregeln» explizit fest, Antisemitismus nicht zu tolerieren.

Ähnlich kontrovers kann der Spruch «From Basel to Gaza – Student Intifada» verstanden werden. Schliesslich denken einige beim Wort Intifada an die Welle an blutiger Gewalt in Israel, die in den 80ern und 2000ern infolge palästinensischer Aufstände in einem zuvor schon aufgeheizten politischen Klima entstand. Grundsätzlich ist mit Intifada allerdings nicht zwingend Gewalt und Terror gemeint – das arabische Wort bedeutet «Aufstand» im Allgemeinen. Pro-palästinensische Studierendenproteste auf aller Welt verwenden den Begriff. Die Basler Besetzer*innen sagten zu Bajour, friedlich zu sein.

Um 21 Uhr finden die Besetzer*innen zurück ins Plenum. Medien sollen nicht anwesend sein, schon am Vortag hatte die BaZ berichtet, dass ihr Reporter nicht zur Versammlung zugelassen wurde. Im Plenum wird dann entschieden, dass die Besetzer*innen nicht auf die Vorschläge des Rektorats eingehen wollen und dass man auch nach 8 Uhr am Mittwoch bleiben will. Das geben sie später auf ihren Kanälen bekannt und mobilisieren zum Frühstück um 7 Uhr, um die Besetzung vor einer allfälligen Räumung zu schützen.

Denn ausgerechnet am Nakba-Gedenktag, an dem an die Vertreibung der Palästinenser*innen nach der Staatsgründung Israels 1948 erinnert wird, wollen die Besetzer*innen sich nicht vertreiben lassen.

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