Kindernäscht versus gesellschaftlicher Altersstarrsinn
Das Kindernäscht ist eine einmalig flexible Institution in Basel für Eltern, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen müssen. Die drohende Schliessung des Akut-Kinderhorts ist ein Symbol für die kinderfeindliche Umgebung unserer überalternden Gesellschaft und für politischen Starrsinn.
Auf der Bullshit-Bingo-Karte zum Thema «Vereinbarkeit von Familie und Beruf» steht ganz gross FLEXIBILITÄT. Die braucht es überall, gibt es aber selten. Sei es beim Arbeitsplatz oder bei der familienexternen Betreuung.
Ein Stück Flexibilität finden viele Basler Eltern seit 23 Jahren beim Kindernäscht. Mitten in der Innenstadt kann man sein Kind spontan vorbeibringen und stundenweise betreuen lassen, auch während der Schulferien. Maximal flexibel. Das Angebot gilt für Kinder im Alter von 18 Monaten bis 12 Jahren und auch für Kinder mit Behinderung oder Einschränkungen. Solch eine Einrichtung gibt es in Basel nur einmal. Ende des Jahres soll Schluss sein mit diesem niederschwelligen Betreuungsangebot.
Rund 16 Jahre lang hat der Kanton bzw. das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt die Einrichtung die Eltern die Vereinbarkeit von Kind und Arbeit erleichtert und viele Ausfalltage im Job verhindert, unterstützt. Doch jetzt entspricht das Kindernäscht nicht mehr «den geltenden Voraussetzungen des Tagesbetreuungsgesetzes». Zuletzt wurde das Näscht vom Kanton jährlich mit 72’000 Franken unterstützt. Um zu überleben, bräuchte es 80’000 Franken, sagte Betriebsleiterin Letizia Marioni gegenüber Bajour.
Das Basler Kindernäscht im Herzen der Stadt muss schliessen. In einem Brief an die Eltern wird das Ende des Betreuungsangebots aufgrund fehlender finanzieller Mittel angekündigt.
Vom Kanton gibt es diesen Betrag definitiv nicht, das hat der Regierungsrat diese Woche in seiner Antwort auf eine Interpellation von Edibe Gölgeli noch einmal bekräftigt. Die Regierung verweist auf andere Angebote wie Babysitter*innen und Nannys. Nach dem Marie Antoinettschen Motto: Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen. Denn während die Betreuung im Kindernäscht zwölf Franken die Stunde kostet, muss man für Babysitter*in oder Nanny mindestens das Doppelte hinblättern. Es hat einen Grund, warum im Kindernäscht jedes Jahr Hunderte Kinder betreut werden – auch aus weniger gut situierten Familien.
Der Kampf mit der Kinder-Vereinbarkeit in der Leistungsgesellschaft bleibt meistens unsichtbar, also in der Familie. Wer die egoistische Entscheidung trifft, Kinder zu bekommen, muss sich selbst organisieren. Flexibel müssen vor allem die Eltern sein, zum Beispiel in ihren Idealvorstellungen, wie die zunehmend kinderlose Gesellschaft Erleichterungen schaffen könnte beim Grossziehen eines Kindes.
Eltern werden nicht beklatscht für ihre Leistung, Kinder ins geburtenarme Land zu setzen, sondern ausgelacht, wenn sie mehr öffentlich zur Verfügung gestellte Hilfe für die Erziehung fordern.
Flexibel muss die Mutter sein, wenn sie länger als 14 Wochen zu Hause bleiben möchte und dafür den Job aufgeben muss. Flexibel muss der Vater sein, der gerade mal zehn Tage «Vaterschaftsurlaub» bekommt und seine Ferientage nutzen soll, um ein bisschen Erziehungsarbeit zu leisten. Eine echte Elternzeit gibt es nicht. Im Kampf dagegen fordern Bürgerliche im Sinne der Gleichberechtigung, dass 16 Wochen auf beide Eltern aufgeteilt werden. Sie finden es also vertretbar, dass eine Person, die ein Kind zur Welt gebracht hat, noch weniger Zeit und Erholung bekommt als den aktuell ohnehin schon – für europäische Verhältnisse – extrem niedrig angesetzten Mutterschutz.
Eltern werden nicht beklatscht für ihre Leistung, Kinder ins geburtenarme Land zu setzen, sondern ausgelacht, wenn sie mehr öffentlich zur Verfügung gestellte Hilfe für die Erziehung fordern. Und wehe, sie – also Frauen – gehen schnell wieder arbeiten und stecken ihr Kind in die Kita. «Karrieregeile Rabenmutter!», heisst es dann ganz schnell. Die Kita ist zum Glück ja so teuer (trotz Erhöhung der Zuschüsse), dass einige Mütter unfreiwillig jahrelang keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, sondern sich der unbezahlten Care-Arbeit widmen. Ironie off. Für wen das ein Win ist, soll mir bitte mal jemand erklären.
Sollte das Kindernäscht schliessen, ist es das gefühlt hundertste kleine Signal an Eltern, dass die Vereinbarkeit zwischen Job und Familie gar nicht gewollt ist.
Es wird gern mit der wichtigen Flexibillität der Wirtschaft argumentiert, die sich eine längere Elternzeit oder einen vorgeburtlichen Mutterschutz nicht leisten könne. Lieber riskiert man, dass ein Elternteil jahrelang die Berufswelt verlässt, als dass man ihm hilft, alles unter einen Hut zu bekommen. Es wären mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar, wenn Job und Familie tatsächlich vereinbar wären und es so etwas wie Gleichberechtigung in der Kindererziehung gäbe. Aber weil dem nicht so ist, treiben viele Frauen – aus Angst vor der finanziellen Abhängigkeit – erst einmal ihre Karriere voran, zahlen fleissig für ihre Pension ein und gehen (bewusst oder unbewusst) das Risiko ein, dass es mit dem Kinderwunsch nichts mehr wird. Die schrumpfende Geburtenrate lässt grüssen.
Zurück zum Kindernäscht. Machen wir uns nichts vor: Sollte es das Kindernäscht weiterhin geben, werden in Basel deshalb nicht mehr Kinder auf die Welt kommen. Aber sollte es schliessen, und danach sieht es aus, ist es das gefühlt hundertste kleine Signal an Eltern, dass die Vereinbarkeit zwischen Job und Familie gar nicht gewollt ist. 80’000 Franken, die für einmal den Familien ihre Flexibilität ein bisschen erleichtert, sollte es einer alternden Gesellschaft wert sein. Auch wenn es nur ein kleines Signal für die Vereinbarkeit ist.