«Ein Basler SVP-Nationalratssitz ist nicht mehr unrealistisch»
Nach den turbulenten Statthalter*innen-Wahlen Anfang Jahr will die SVP bald die Grossratspräsidentin stellen. Präsident Pascal Messerli ist zuversichtlich. Im Interview spricht er über die Anti-Chaoten-Initiative, bürgerliche Zusammenarbeit und die Bilateralen III mit der EU.
Pascal Messerli, in Basel hat sich die SVP zwar für den ESC ausgesprochen, bei der nationalen Partei war der Event aber umstritten. Wie haben Sie den ESC in Basel in Erinnerung?
Ich schaue den ESC schon seit meiner Kindheit. Ich war an einem Halbfinale live vor Ort, beim anderen beim Public Viewing in der Messehalle und beim Finale in der Arenaplus – und auch sonst war ich die ganze Woche mit Freunden und Familie unterwegs. Wenn man sieht, wie viel Freude der ESC gebracht hat, war es die richtige Entscheidung – auch wenn die Wertschöpfung zu optimistisch eingeschätzt wurde und es unerfreuliche Nebenschauplätze gab mit den antisemitisch gefärbten Demonstrationen gegen Israels Teilnahme.
Wenn wir zurückblicken, startete das Jahr für Ihre Fraktion unbequem: Ihr Grossrat Beat Schaller wurde nicht zum Statthalter gewählt. Sind Sie immer noch hässig?
Irgendwann muss man damit leben, dass es so ist. Aber das war keine Sternstunde des Parlaments. Nur weil es ein SVPler ist, musste man Beat Schaller einen Denkzettel verpassen – er wäre sehr gerne Grossratspräsident gewesen. Ich denke, am Ende gab es grosses Unverständnis in der Öffentlichkeit für das Vorgehen.
«Wir rechnen selbstverständlich mit der Wahl von Gianna Hablützel als Grossratspräsidentin. Ich bin vorsichtig optimistisch.»Pascal Messerli, Präsident SVP Basel-Stadt
Die Nicht-Wahl war von der SP zum Beispiel angekündigt wegen Schallers diskriminierender Voten. Ein*e moderate*r SVP-Kandidat*in hätte eine Chance gehabt – Lorenz Amiet wäre zum Beispiel im dritten Wahlgang gewählt worden.
Lorenz Amiet stand aus beruflichen Gründen nicht zur Verfügung und hat das im Vorfeld auch klargemacht. Es geht nicht darum, wer die moderateste Parteilinie hat – sondern, dass man als Partei im Turnus den Anspruch auf das Präsidium hat. Das wurde immer respektiert, nur bei Beat Schaller nicht.
Auch einige Bürgerliche kritisieren, dass diese Scharade absehbar war. Weil Joël Thüring nach seinem Präsidiumsjahr noch lange im Ratsbüro blieb, war kein Platz für eine*n SVP-Nachfolger*in. Hat man es versäumt, neue Kräfte aufzubauen?
Das sind Ausreden. Bei anderen Parteien ist es auch so, dass man direkt ins Büro gewählt wird und dann recht schnell Statthalter wird – wir wissen jetzt zum Beispiel noch nicht, wen die LDP für das Büro nominieren wird und diese Person wird dann direkt Statthalter. Wegen solcher formeller Sachen macht man nicht solche Kindergartenspiele – die Personen, die Beat Schaller kritisiert haben, hätten ihn auch mit mehr Zeit im Ratsbüro nicht gewählt.
Rechnen Sie damit, dass es bei der Wahl von Gianna Hablützel zu ähnlichen Szenen kommen wird?
Ich denke, ihre Wahl wird unbestrittener sein, auch wenn Linke wohl jeden Kandidaten kritisieren, der von uns kommt. Aber sie hat an der Seite von Balz Herter eine gute Nummer gemacht, hat einige Events als Statthalterin präsentiert und es gab keine negativen Presseberichte. Wir rechnen selbstverständlich mit ihrer Wahl und stehen hinter Gianna Hablützel. Ich bin vorsichtig optimistisch.
Bei den letzten Grossratswahlen hat die SVP einen Sitz dazugewonnen und ist jetzt gemeinsam mit der LDP die grösste Fraktion auf der rechten Ratsseite – die Meinungsmacher*innen bei den Bürgerlichen sind aber andere. Warum kann sich die SVP nicht durchsetzen?
Wie meinen Sie das?
Die SVP wirkt isoliert.
Den Eindruck habe ich nicht. Ich glaube, wir sind gut in die Legislatur gestartet. Wenn man es prozentual anschaut, sind wir stärker als die LDP. Wir haben sie bei zwei Wahlen überholt, auch schon bei den Nationalratswahlen. Das dürfen wir auch gerne betonen, wenn es heisst, dass es eine SVP-freie Zone sei. Ich glaube, wir sind im Grossen Rat gut positioniert und haben dort unsere Personen, die für Meinungen sorgen.
Man kriegt eher den Eindruck, die SVP-Fraktion sei eine Two-Man-Show aus Ihnen und Joël Thüring.
Das finde ich nicht. Wir reissen uns nichts an den Nagel, es gab Sicherheitspakete, wo jedes Fraktionsmitglied einen Vorstoss eingereicht hat. Laetitia Block und Patrick Fischer sind noch gar nicht so lange Teil der Fraktion. Und auch unsere beiden Gemeinderäte aus Riehen halten sich mit Vorstössen zurück, weil sie auch in der Exekutive sind. Grundsätzlich ist jeder Vorstoss bei uns willkommen – das schärft unser Profil und zeigt, dass wir auf sachpolitischer Ebene präsent sind.
Pascal Messerli ist seit 2017 Mitglied des Grossen Rats und präsidierte die Fraktion bis 2022, als er das Präsidium der Kantonalpartei übernahm. Zuvor war er Präsident der Jungen SVP Basel-Stadt. Der 36-Jährige ist Rechtsanwalt und vor allem im Straf-, Verwaltungs- und Familienrecht tätig. Politisiert wurde er durch die Minarettinitiative.
Auf kantonaler Ebene ist die SVP angewiesen auf die Themensetzung der nationalen SVP. Wo spürt man die Partei überhaupt bei kantonalen Themen?
Wir haben den Fokus auf Sicherheit gelegt – das ist durchaus ein kantonales Thema: Wir haben einige Vorstösse zur Polizei eingereicht, die auch mehrheitsfähig waren. Bei den letzten Wahlen haben wir den Nerv der Bevölkerung getroffen, weil es so hohe Kriminalitätsraten gibt. Bei wirtschaftlichen und Verkehrsthemen haben wir uns immer bürgerlich positionieren können. Das nehmen auch die Wähler wahr.
Haben Sie den Eindruck? Die SVP wird hauptsächlich als Sicherheits-Asyl-Demo-Partei wahrgenommen.
Gerade mein Vorstoss zum Kaskadenmodell hat in jedem Medium hohe Wellen geschlagen. Das war auch parteipolitisch breit abgestützt. Genau das macht mir Freude an der Politik, wenn man abseits der Parteilinien gemeinsam Lösungen finden kann in vielen Themen, wie beispielsweise auch in den Kommissionen – das kommt manchmal fast zu kurz in der Aussenwahrnehmung.
Apropos Kaskadenmodell: Wie haben Sie Ihre Law-and-order-Partei zu dieser Position überreden können?
Ich glaube nicht, dass das Kaskadenmodell ein Law-and-Order-Modell ist, sondern das Gegenteil davon. Man schränkt die Eigenverantwortung und individuelle Freiheit ein und bestraft die Hooligans nicht – die Motion begnadigt nicht die Hooligans, sondern stellt sich gegen die Kollektivstrafen. Dieses Argument hat meine Fraktion überzeugt, selbst ausgewiesene Sicherheitsexperten finden, dass das keine ideale Lösung ist.
«Wenn wir einen Nachfolger von Lukas Engelberger in der Regierung unterstützen sollen, wollen wir die Unterstützung der Mitte bei den Nationalratswahlen.»Pascal Messerli, Präsident SVP Basel-Stadt
Wie funktioniert aktuell die Zusammenarbeit auf der bürgerlichen Seite?
Im Grossen Rat gut – zum Beispiel beim Roche-Areal, zu dem wir in der Bau- und Raumplanungskommissionen einen Minderheitsbericht erarbeitet haben und dieser in der Ratsabstimmung eine Mehrheit erhielt. Auch beim automatischen Steuerabzug haben wir gemeinsam das Referendum ergriffen.
Und bei Wahlen?
In Riehen hat die bürgerliche Zusammenarbeit gut geklappt. Bei den nächsten nationalen Wahlen könnte es schwierig werden – vor allem weil man nicht weiss, wie sich die Mitte verhalten wird. Wir haben aber ein gewisses Faustpfand: Die Mitte wird irgendwann einen Nachfolger von Lukas Engelberger in der Regierung haben. Wenn wir nicht antreten sollen, muss man uns schon gut erklären, warum man mit uns dann für Nationalratswahlen keine Listenverbindung machen will.
Aber ein Nationalratssitz für die SVP ist im Moment unrealistisch.
Es kommt auf die Listenverbindungen an. Schweizweit konnte die SVP zulegen, das kann sich auch auf Basel auswirken, wir sind schon bei den letzten Wahlen prozentual stärker geworden. Es ist nicht mehr so unrealistisch, wie es auch schon war.
Die Regierung hat diesen Sommer entschieden, dass sie die «Anti-Chaoten-Initiative» ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung bringen will. Im Kanton Zürich wurde damals die Initiative abgelehnt, aber der Gegenvorschlag angenommen. Warum hat es die SVP nicht geschafft, auch hier einen Gegenvorschlag hinzukriegen?
Es ist die Regierung, die eine Chance zum Entgegenkommen verpasst hat. Unsere Initiative ist moderater als die der Jungen SVP Zürich. Ich bin gespannt, was die JSSK (Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission) noch macht – wenn sie einen sinnvollen Gegenvorschlag erarbeiten, sind wir offen.
Ohne Gegenvorschlag ist die Initiative zum Scheitern verurteilt.
Es wäre nicht das erste Mal, dass wir erfolgreich Abstimmungen gewinnen – zum Beispiel beim Freizeitgartengesetz. Im Sammelstadium der Initiative haben viele Leute, die sonst nicht für die SVP stimmen, unterschrieben. Das ist nicht so chancenlos.
Bezüglich der Videoüberwachung der Dreirosenanlage hatte die SVP ein Ultimatum gesetzt, um diese zurückzubringen. Was wurde eigentlich daraus?
Die Gewalt bei der Dreirosenanlage ist nicht besser geworden, seit die Kameras abgestellt wurden. Gewisse Vorstösse dazu haben wir gemacht. Uns hat gefreut, dass die Regierung endlich das Thema Sicherheit im Legislaturplan aufgenommen hat – da wollen wir auch Taten sehen. Doch wir werden erstmal abwarten, wie sich diese Legislatur entwickelt.
«In Basel werden wir kommendes Jahr vor allem auf den EU-Unterwerfungsvertrag einen Schwerpunkt legen.»Pascal Messerli, Präsident SVP Basel-Stadt
Als einzige Partei hat sich die SVP gegen die Initiative «Zämme in Europa» eingesetzt. Die wurde klar angenommen.
Es hat sich nicht gelohnt, wirklich eine Kampagne dagegen zu machen, das ist eine nichtssagende Symbolinitiative. Es war seltsam, dass sich unsere vier Nationalrätinnen auf kantonaler Ebene so exponierten. Wenn ihnen das Volksrecht so wichtig ist, dann hätten sie sich dafür einsetzen können, dass der EU-Unterwerfungsvertrag auch den Ständen vorgelegt werden muss. Dagegen wollen wir aktiv werden, aber bei dieser Initiative haben wir es nicht für notwendig gehalten.
Nächstes Jahr sind zwar keine Wahlen, trotzdem stehen auf nationaler Ebene einige Kernthemen der SVP an: 10-Millionen-Initiative, Halbierungsinitiative und die Rahmenverträge über die dann 2027 abgestimmt wird. Worauf wird die Basler SVP besonders den Fokus legen?
In Basel werden wir vor allem auf diesen Unterwerfungsvertrag einen Schwerpunkt legen. Wir werden bei jeder dieser extrem wichtigen Abstimmungen unseren Beitrag leisten. Es ist gut, dass kommendes Jahr keine Wahlen sind und man sich voll auf die Sachthemen fokussieren kann.
Im Interview mit Bajour sagten Sie 2023: «In Basel-Stadt hat die SVP null Toleranz gegenüber der Jungen Tat.» Warum ist Joel Thüring dann auf LinkedIn mit Junge-Tat-Chef Tobias Lingg vernetzt?
Auf den sozialen Medien ist man heutzutage schnell mal vernetzt. Das heisst nicht, dass man dann die Ansichten gut findet. Auf der linken Seite ist man relativ viel mit linksextremen Kreisen vernetzt. Ich glaube, das hat keine so grosse Bedeutung. Mir folgen manche von denen auch immer mal wieder in den sozialen Medien, obwohl sie wissen, was meine Meinung ist.
Die hat sich seither nicht geändert?
Die Junge Tat vernetzte sich unter anderem mit einem niederländischen Terrorverdächtigen in der rechtsextremen Szene. Wir als Partei haben zwar Migrationspolitik im Fokus, aber mit demokratischen Zielen. Was aus dem demokratischen Rahmen fällt, hat bei uns keinen Platz. Unsere Junge SVP zieht da in Basel auch super mit und ist genauso konsequent.
Sie sind seit 2022 Parteipräsident – sind Sie nach bald vier Jahren noch nicht amtsmüde?
Es sind spannende Themen, die 2026 auf uns zukommen und 2027 sind Wahlen. Ich mache das, solange ich Freude daran habe. Ich muss mich nicht 20 Jahre an ein Amt klammern, aber wir werden von Periode zu Periode schauen.