Teilnehmer*in an Nazi-frei Demo zu 8 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt

In der Prozessreihe gegen Teilnehmende der Anti-Pnos-Demo vom November 2018 fällt das Strafgericht ein Urteil von bisher ungekanntem Ausmass. Wir waren am Gericht. Hier ist der Bericht.

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Am Haus gegenüber des Strafgerichts hängt eine solidarische Fahne. Rund 100 Sympathisant*innen hatten sich schon am frühen Montagmorgen vor dem Gericht versammelt.

Das Urteil klang trotz des sachlichen Tonfalls der Gerichtsschreiberin wie ein Donnerschlag in den Saal 1 am Strafgericht hinein. 

Die Angeklagte wird des Landfriedensbruchs und der mehrfachen qualifizierten Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig gesprochen und zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Angeklagten selbst konnte zwar keine Gewaltanwendung nachgewiesen werden.

Sie wurde aber als Teil einer gewaltbereiten Gruppe haftbar gemacht und dafür bestraft, dass sie sich nicht entfernte, sobald es zur Eskalation kam. Das Urteil erging für Landfriedensbruch und der passiven Teilnahme an mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. 

Ungewöhnlich harte Strafe

Acht Monate Freiheitsentzug für die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration. Damit hat die Urteilshärte in der Prozessreihe gegen Teilnehmende der Anti-Pnos-Demonstration vom 24. November 2018 auf dem Messeplatz eine neue Stufe erreicht. Das Urteil wurde nicht isoliert gefällt. Die Staatsanwaltschaft hatte die Anklage mit dem Hinweis auf zwei hängige Verfahren wegen einschlägiger Delikte beschwert. Das Gericht folgte dem Hinweis teilweise und verurteilte die Angeklagte damit zu einer heftigen Strafe. 

Das ist insofern aussergewöhnlich, als aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft eben kein gewalttätiges Handeln der Angeklagten selbst hervorgeht. Weder hatte sie sich an Steinwürfen beteiligt, noch hatte sie, wie es anderen Demonstrierenden im Nachgang der Anti-Pnos-Demo vorgeworfen wird, Bretter und Baumaterial von einer Baustelle an der Mattenstrasse entwendet.  

Sie hatte auch keine halbvolle Bierbüchse in Richtung der Beamt*innen geworfen (wofür u.A. der Angeklagte im zweiten Prozess für sieben Monate bedingt verurteilt wurde), noch war sie schwarz vermummt zur Demonstration erschienen. Sie hatte kein Banner getragen (sieben Monate bedingt für den Angeklagten im ersten Prozess) und nicht fotografiert (90 Tagessätzen à 30 Franken für einen anderen Angeklagten). 

Sie trug an diesem 24. November 2018 eine helle Jeans und hatte sich zeitweise ihren Schal unter die Nase gebunden. Der zentrale Satz in der Anklage der Staatsanwaltschaft lautet: «Der Beschuldigten können im Rahmen des vorgeschilderten Landfriedensbruchs keine eigenhändigen Gewaltdelikte zum Nachteil von Polizisten nachgewiesen werden.»

Das bedeutet: Das Strafgericht Basel verurteilte an diesem Montagnachmittag eine Person zu acht Monaten Freiheitsentzug, weil sie sich an einer unbewilligten Demonstration aufgehalten hatte.

So zumindest musste das Urteil gelesen werden, wenn man den hier verhandelten Sachverhalt, nämlich die Teilnahme an der Anti-Pnos-Demo, zur Grundlage nahm. 

Die Staatsanwaltschaft führte in ihrer Anklage aber weitere Hinweise an, um die Angeklagte als Wiederholungstäterin erscheinen zu lassen.

Und wieder die Frage: Wo bleibt die Unschuldsvermutung?

Erstaunlich war, dass es sich bei diesen Hinweisen auf die angeblich justiziable Vergangenheit der Angeklagten (es geht um Sachbeschädigungen im Rahmen einer früheren Demonstration in Basel, sowie einen durch Einspruch sistierten Strafbefehl wegen Farbschmierereien) um hängige Verfahren handelte, deren Urteile noch ausstehen. Das heisst: Zur Zeit der Strafverfolgung, sowie der an diesem Montag geführten Gerichtsverhandlung, galt die Unschuldsvermutung

Und so steht das beinahe auch in der Anklageschrift. 

«Die Beschuldigte hat keine rechtskräftig bedingten Vorstrafen, jedoch zwei hängige Verfahren wegen einschlägigen Delikten.» 

Jedoch? Ob durch diesen Zusatz die Unschuldsvermutung von der Strafverfolgungsbehörde nicht mindestens angekratzt wird, ist fraglich. 

Das Gericht nahm den Ball auf. Gerichtspräsident René Ernst (SP) begründete das Strafmass mit Verweis auf die hängigen Verfahren mit der Bemerkung, das Urteil in Sachen Sachbeschädigungen sei zwar eingestellt, aber grundsätzlich nachgewiesen. Uns fehlt das juristische Know-How um diesen Satz lupenrein einzuordnen aber mit gebührender Sachlichkeit müssen wir auch hier darauf hinweisen: Es bleiben Fragen offen. 

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage 12 Monate unbedingt gefordert.

Das Urteil von acht Monaten unbedingt hätte formell auch auf bedingte Freiheitsstrafe lauten können, sagte der Gerichtspräsident zum Schluss der Urteilsbegründung. Allerdings habe die Angeklagte durch ihr Auftreten und ihr Statement vor Gericht klar gemacht, dass sie aus Überzeugung an der antifaschistischen Demonstration teilgenommen habe und dass in Bezug auf ähnliche Delikte weiteres Ungemach drohe, sollte sich wieder «so eine Situation» ergeben. 

Das Urteil von acht Monaten unbedingt sei darum angemessen. 

__________

Nach der Urteilsverkündung kam es am Montagabend zu einer spontanen Solidaritätsdemonstration von Sympathisant*innen. Zirka 200 Personen versammelten sich gegen 20:00 Uhr auf dem Claraplatz, liefen dann die Klybeckstrasse entlang und über die Dreirosenbrücke zum Voltaplatz. Nach einer Stunde löste sich die Demonstration auf.

Die Polizei hielt sich während des Umzugs ausser Sichtweite. Vereinzelt wurden Bengalos gezündet, die Demonstration blieb friedlich. Es kam zu Verkehrsverzögerungen und einer zwischenzeitlichen Störung des Tramverkehrs. 

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Die Demonstration auf dem Weg auf die Dreirosenbrücke. Bild: Daniel Faulhaber

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels stand, das Gericht habe die Angeklagte auch als «Gesinnungstäterin» verurteilt. Diese Formulierung ist falsch. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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Themeninputs und Hinweise gerne an [email protected] . Twitter: @dan_faulhaber


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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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