Basel ohne S-Bahn ergibt keinen Sinn

Die Agglo braucht Basel und Basel die Agglo. Täglich pendeln Zehntausende in die Stadt, auch aus dem nahen Ausland, viele mit dem Auto. Während man wacker Parkplätze abbaut, hat die rot-grüne Stadt bis heute kein ÖV-Herzstück hingekriegt. Das ist absurde Mobilitätspolitik, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Wochenkommentar S-Bahn Herzstück
(Bild: KEYSTONE/Georgios Kefalas/Collage: Bajour)

Die Mehrheit der Basler Stimmbevölkerung wollte keinen Rheintunnel und – zur Überraschung einiger (mich eingeschlossen) – der Grossteil der Schweizer Stimmbevölkerung wollte ebenfalls keinen Autobahnausbau. Die Grünen und andere Linke feiern einen der grössten Abstimmungserfolge ihres politischen Lebens und sehen sich mit gefühlt der ganzen Nation auf einer grünen Welle surfen. Sie sprechen denn auch konsequent von einer «Verkehrswende», die sich die Bevölkerung wünscht. 

Interpretieren die Grünen das Ergebnis zu optimistisch? Die Nachabstimmungsbefragung des Instituts Leewas zeigt, dass das Klima durchaus für viele ein Argument gegen den Autobahnausbau war. 38 Prozent gaben die Klimakrise als Grund für ihr Nein an. Und 39 Prozent hatten Angst vor einem wachsenden Verkehrsaufkommen durch die neuen Strassen. Die Woz schreibt: «Es gibt verschiedene Gründe für das Nein, und nicht alle sind ökologisch und solidarisch. Doch das Resultat verschiebt die Gewichte in die richtige Richtung.»

Ein Nein zur neuen Autobahn bedeutet nicht unbedingt ein Nein zum Auto.

Die Linken wünschen sich die Verkehrswende, die restliche Bevölkerung auch? Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass am Abstimmungstag insgesamt die Mobilisierung auch mit den Mietthemen von links besser war. Ein Autoland, wie manche Medien meinten, ist die Schweiz nur bedingt, wie Infosperber klarstellt. Und trotzdem bedeutet ein Nein zur neuen Autobahn nicht unbedingt ein Nein zum Auto.

Was heisst das jetzt für Basel? Stau gibt es in Basel immer und den will eigentlich niemand. Bevor jetzt das nationale Ergebnis als Grundsatzentscheid für jede lokale Verkehrsmassnahme umgedeutet wird, sollten auch die feiernden Grünen einen geistigen Marschhalt ansteuern. In Basel wünschen sich viele eine Entlastung der Osttangente – dafür braucht es jetzt immer noch eine Lösung.

Warum fahren so viele Pendler*innen aus Frankreich und der Agglo mit dem Auto nach Basel? Weil es im Dreiland keine vernünftige, schnelle ÖV-Anbindung gibt.

Bei der Frage, ob die (Stimm-)Bevölkerung die Verkehrswende will, spielt die täglich gelebte Mobilität eine grosse Rolle. Es fahren viele mit dem Auto, manche hunderte Kilometer pro Tag, das Fliegen in die Ferien möchten die wenigsten komplett aufgeben. Sei es mangels Alternative, wegen des Zeitaufwands oder wegen der Kosten. 

Ansetzen sollte die Basler Mobilitätspolitik dort, wo es am meisten bringt. Warum fahren so viele Pendler*innen aus Frankreich und der Agglo mit dem Auto nach Basel? Weil es im Dreiland, in dem gefühlt keine Grenzen existieren, keine vernünftige, schnelle ÖV-Anbindung gibt. Es ist unkomplizierter, von Basel nach Zürich zu fahren als von Dornach ins Kleinbasel zu kommen. Verkehrsdirektorin Esther Keller hat kürzlich erst gesagt, man sei dran mit Frankreich, damit bald S-Bahnen fahren. Bis ein neues ÖV-Netz etabliert ist, dauert es allerdings Jahre. Und man fragt sich, warum es nicht längst das Herzstück gibt, mit der die Agglo angeschlossen wäre, und warum es nicht längst eine trinationale S-Bahn gibt, mit der das nahe Ausland besser angebunden wäre.

Es ist absurd, dass es weder Herzstück noch trinationale S-Bahn gibt in einer Region, die seit Jahrzehnten von Grenzgänger*innentum und Pendler*innen lebt.

Mit Blick auf die Region Basel müssen wir ernüchtert feststellen, dass die Fertigstellung des Herzstücks noch Jahrzehnte dauern wird – wenn das Geld dafür vom Bund freigegeben wird (wofür die Chancen nach letztem Sonntag nicht schlecht stehen). Die Verhandlungen mit dem Bund dazu stehen im kommenden Jahr an. Aber nochmal: Es ist absurd, dass es das noch nicht gibt in einer Region, die seit Jahrzehnten vom Grenzgänger*innentum lebt und in einer Stadt, die 2037 klimaneutral sein will und Parkplätze abbaut, in der aber Autos mit BL-, AG- und SO-Kennzeichen ein- und ausgehen.

Die Schweiz ist ein ÖV-liebendes Land, das noch nicht aufs Auto verzichten kann oder will – für beides müssen in den kommenden Jahren Kompromisse bzw. passende Projekte gefunden werden. Zumindest, wenn wir die Klimaziele ernst nehmen. 

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Kommentare

Ruedi Basler
29. November 2024 um 11:21

Alternativen vorhanden

Vorschläge vom Astra: Pannenstreifenumnutzung, temporäre Reduktion der Höchstgeschwindigkeit auf einzelnen Autobahnteilstücken mit Hilfe von Geschwindigkeitsharmonisierung und Gefahrenwarnung, Rampendosierung, Punktuelle Lastwagen-Überholverbote, Umleitung und Verkehrsinformation mittels Wechseltextanzeigen und Wechselwegweisung, Bewirtschaftung der Anschlussbereiche, Warteräume für den schweren Güterverkehr, Carpooling. Meine Ideen: Vignette 200.- , Mobility-Pricing, mindestens 3 Personen pro Auto.Jetzt benötigt es nur noch Mehrheiten für solche zukunfstweisende Projekte. Dazu muss man aber bereit sein, über die Stossstange hinaus zu gucken.