«Vielleicht wird man einfach vergessen»

Wie ist das, wenn man plötzlich nicht mehr Berufspolitiker ist? Das haben wir ehemalige Regierungsräte gefragt. Heute: Baschi Dürr. Speziell bei ihm: Er ging nicht freiwillig.

Der damalige Regierungsrat Baschi Duerr, damaliger Vorsteher Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt, fotografiert anlaesslich des Baubeginns des Erweiterungsbaus des Gefaengnisses Baesslergut am Freitag, 17. Maerz 2017 in Basel.
Ein stoischer Baschi Dürr: Der alt Regierungsrat fühlt sich noch zu jung, um zurückzuschauen. (Bild: KEYSTONE / Patrick Straub)

Baschi Dürr möchte eigentlich nicht hier sein. «Ich bin noch zu jung für eine Serie à la ‹Was wurde eigentlich aus …?›». Stimmt. Baschi Dürr ist nicht wie der 63-jährige Christoph Brutschin, der nach 12 Jahren freiwillig abtrat. Baschi Dürr ist 44 Jahre jung. Und er wollte nicht gehen, er musste.

Nach acht Jahren als Polizeivorsteher reichte es nicht mehr für eine dritte Legislatur. Er wurde abgewählt, verlor seinen Sitz an Stephanie Eymann von der LDP (obwohl Dürr die Arithmetik so interpretiert, dass er gegen Esther Keller von der GLP verloren habe).

Schlussresultat Regierungswahlen 2020 2 Wahlgang
Die Resultate des 2. Wahlgangs: Baschi Dürr fehlten rund 1500 Stimmen für die Wiederwahl.

Jetzt sitzt der Freisinnige draussen beim Café am Wettsteinplatz. Wir wollten ihn eigentlich an seinem Lieblingsort treffen, Dürr reagierte leicht genervt: «Warum müssen Politiker immer einen Lieblingsort haben?» Gut, dann eben gleich um die Ecke von seinem Haus im Wettsteinquartier, wo er mit seiner Frau und den drei Kindern lebt. Es ist windig, Autos und Busse im Kreisverkehr nebenan fahren laut vorbei. 

Baschi Dürr trägt ein dunkelblaues Jackett, sein weisses Hemd steht leicht offen. In der Innentasche stecken zwei Kugelschreiber, vor ihm auf dem Tisch liegen eine Zigarettenschachtel und eine gefaltete Ausgabe der NZZ. Ein Paradebeispiel für Business-Casual: Dürr wirkt parat, aber trotzdem entspannt. 

Für einen Rückblick fühlt sich Baschi Dürr also noch zu jung. Wofür ist er denn alt genug? «Für den Lebensabschnitt, in dem ich gerade bin», sagt er. Mit seiner Zeit als Regierungsrat will er abgeschlossen haben, er nennt sie immer wieder «die acht Jahre».

In diesen acht Jahren stand er dem Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) vor, dem «führungsintensivsten Departement», wie Dürr es nennt. Meistens nennt er es aber «Organisation». «Als Regierungsrat ist man viel weniger Politiker als man meint, primär ist man Manager,  Chef von einem grossen Laden.» Und als dieser Chef habe er «wahnsinnig viel gelernt», vor allem in der Führung.

Sanfter Rhythmuswechsel

Diese Lernkurve hat man bemerkt: Eigentlich wollte Dürr von Anfang an ins Präsidialdepartement, ohne Erfolg. In den ersten vier Jahren als Justizdirektor wirkte er überfordert, schlug sich mit der Dienstwagen-Affäre herum und versuchte nach vier Jahren nochmals, Regierungspräsident zu werden, um weniger Führungskraft sein zu müssen und mehr «über die grossen Linien» nachdenken zu können. Erneut ohne Erfolg, Dürr blieb im Justizdepartement. In seiner zweiten Legislatur brachte er Ruhe ins JSD, zeigte Linie bei Demonstrationen, trieb intern die Digitalisierung voran. 

Und war unterwegs. 

Ein Regierungsrat hat eine dichte Agenda mit Veranstaltungen, Generalversammlungen, Vernissagen, Apéros, grösseren Konferenzen. «Das macht viel aus, ein Viertel, wenn nicht sogar Drittel der Arbeit», sagt Dürr.

«Wenn man verkrampft allem und jedem hinterherrennt, dann ist das nicht so erfolgversprechend, auch nicht fürs eigene Seelenheil.»

Dann kam Corona und verpasste dem Sehen und Gesehen-Werden einen Dämpfer. Im Nachhinein ein Segen für Dürr. «Der Rhythmuswechsel durch Corona ist mindestens genauso gross gewesen wie der Wechsel von Regierungsrat zu nicht mehr Regierungsrat», sagt er. Bereits im Winter hatte Dürr mehr Abende und Wochenenden frei als zuvor. «Wenn ich darüber nachdenke, hat das den Abschied aus dem Amt erleichtert», sagt er. «Ich bin nicht von 120 auf 0 gefallen.»

Lieber keine Pause

Lange dauerte das Nichts ohnehin nicht. Kaum fertig mit dem Regierungsamt, wurde Dürr im März CEO von Uptown Basel, einer Firma für Arealentwicklung in Arlesheim. Also wieder Führungsposition und Manager-Dasein. Er sei bereit, das Gelernte in der Privatwirtschaft anzuwenden. 

Ein Sabbatical, ein Jahr lang Chinesisch lernen oder eine Weltreise machen, sei nichts für ihn. «Ich wollte schauen, was es sonst noch für berufliche Möglichkeiten gibt. Mit 40 ist ein guter Moment dafür. Und ich wollte wieder etwas Operatives arbeiten und nicht unbedingt in die Beratung gehen oder nur Strategie machen.»

Allerdings beträgt sein Pensum als CEO nur 60 Prozent. Das lässt ihm mehr Zeit für das, «was man sonst so gern macht im Leben: für die Familie, für kulturelle Dinge, wenn das wieder losgeht». Er sei für verschiedene Sachen angefragt worden, etwa als neuer Präsident für die Stadtcasino-Gesellschaft. «Ich möchte aber nicht grad wieder ausgebucht sein mit allem und will das, was ich mache, richtig machen.» Einige –  noch nicht spruchreife – Projekte plant er aber schon.

Jung, aber alt genug.

Alles andere würde verwundern. Baschi Dürr gilt als Karrierist, nennt sich selbst ambitioniert. Er ist ein Mensch, der in der Regel 120 Prozent gibt. Schon als Teenager war er aktiv in der Politik, bei seiner Wahl einer der jüngster Regierungsräte überhaupt. Dachte öffentlich darüber nach, Bundesrat zu werden

Er hat für seine Posten gekämpft. Trotzdem sagt er: «Es war bei mir weniger ein Kampf als es vielleicht scheint. Da sind auch Zufälligkeiten, dass ich zum jüngsten Regierungsrat in Basel seit 100 Jahren wurde. Etwa dass es 2013 eine Vakanz bei der FDP gab.» 

Er habe nie einen genauen Lebensplan gehabt. «Wenn man verkrampft allem und jedem hinterherrennt, dann ist das nicht so erfolgversprechend, auch nicht fürs eigene Seelenheil.»

«Die allerbeste Presse kommt dann, wenn man im Grab liegt.»

Jetzt schaut Dürr doch noch zurück. Zeigt sich stolz auf das, was er erreicht hat. «Es ist ein ziemlich strenger, aber ein toller Job. ich hab ihn sehr gern gemacht. Ich würde sagen auch erfolgreich, habe eigentlich alles erreicht, 100 Prozent aller Projekte realisiert, alle Volksabstimmungen gewonnen, letztlich alles durch den Grossen Rat gebracht.»

Dann traf ihn die Niederlage, darauf angesprochen kommen die gleichen Sätze wie am Tag der Abwahl selbst: «Natürlich habe ich mich aufgeregt, ich gewinne lieber, als dass ich verliere.» Aber er habe trotzdem ein gutes Resultat gemacht. «Die Presse war noch nie so gut. Das ist aber wohl immer so, wenn man geht. Die allerbeste kommt dann, wenn man im Grab liegt.»

Leid habe es ihm vor allem für seine Leute getan. «Für die Partei ist es wirklich schwierig, dass die grosse FDP, die Grand Old Party der Schweiz, in Basel keinen Regierungsrat mehr hat, das ist in der Geschichte schon einschneidend.» Dazu verlor sie drei Sitze im Grossen Rat. Aber persönlich? Alles tiptop: «Ich bin zufrieden und mit mir im Reinen.»

Ein Mann grüsst freundlich beim Vorbeigehen: «Sali Baschi!», Dürr grüsst mit grossem Lächeln zurück, sofort findet er den Faden zum Gespräch zurück.

Tesla als Sympathieträger

Was bleibt von Regierungsrat Baschi Dürr? «Ich bin nicht sicher, ob man als Politiker ein politisches Erbe hat. Vielleicht wird man auch einfach vergessen.» Während Dürrs Zeit hat sich, wie erwähnt, das JSD digitalisiert, Ordnungsbussen gibt es beispielsweise mit QR-Code: «Das war das Entscheidende in der Weiterentwicklung des Departments. Inwieweit man das noch in 50 Jahren weiss oder mit mir in Verbindung bringt? Ja, das ist wahrscheinlich nicht der Fall.» 

Erinnern werden sich die Menschen wohl eher an die Einführung des Tesla als neuem Dienstwagen der Polizei. Das Thema sei überproportional diskutiert worden, findet Dürr, der frühere PR-Mann, gibt aber zu, er habe das «zu einem gewissen Grad auch provoziert». Der Tesla war am Anfang umstritten, mittlerweile sei er aber zum «Sympathieträger» geworden, als sichtbares Symbol für die Modernisierung der Justiz.

Der eine oder die andere Aktivist*in wird den liberalen Dürr bei den Demonstrationen vermissen, Eymanns Linie ist deutlich repressiver. Und auch beim Bettelverbot ist ihre Handschrift bereits zu sehen. Dürr sagt dazu: «Bei den Demos ist völlig egal in welcher Stadt wir uns befinden, völlig egal, wer Vorsteherin ist oder Vorsteher. Es sind überall die exakt gleichen Diskussionen.» Und die Bettelthematik sei rein für den operativen Betrieb des Departements ein viel kleineres Thema, als in der politischen öffentlichen Diskussion.

Ruhiger und entspannter

Dürr wirkte oft, als würde vieles an ihm abperlen. Aber es gab auch Situationen im Amt, die  den «Teflon-Mann» nicht kalt liessen. Dazu zählt für ihn die Berichterstattung rund um die Dienstwagen- oder die Handyvideo-Affäre. «Vor allem vor vier Jahren, in der Mitte meiner acht Jahre. Da bin ich durch den Kakao gezogen worden. Teilweise wohl zurecht. Da waren wir tatsächlich bei gewissen Themen noch nicht so weit, wie wir wollten.» 

Doch das muss man aushalten können, findet Dürr. «Wenn man es nur mühsam findet, dann ist man am falschen Ort.» Auf viele Leute wirke die Auseinandersetzung mit Journalist*innen so abschreckend, dass sie erst gar nicht in die Politik gehen. «Die sagen, in der Privatwirtschaft habe ich auch eine spannende Aufgabe, die besser bezahlt ist und bei der ich diese Exposition nicht habe.» Und auch Baschi Dürr verheimlicht nicht, dass er gewisse Momente nicht vermisst. Es sei jetzt deutlich ruhiger und entspannter. Interviews wie dieses hier fehlen ihm nicht.

«Ich will mich nicht nach vorne drängen, aber ich verstecke mich auch nicht krampfhaft.»

Allerdings vermisst Dürr den alltäglichen Kontakt mit seinen Kolleg*innen. Sein Arbeitsplatz war auch sein soziales Umfeld. «Ich mache schon lange Politik, war 18 Jahre lang non-stop im Grossen Rat und bin seit 25 Jahren politisch aktiv. Deshalb habe ich auch viele Freunde in der Politik.» Es sei eine Umstellung, dass man sich nicht mehr sowieso treffe, sondern er jetzt wieder abmachen müsse.

Der Politik den Rücken gekehrt hat er aber nicht. Bei seiner Partei mischt Baschi Dürr noch immer mit. Den neuen Präsidenten, Johannes Barth, hat er an Bord geholt. Barth soll der Partei wieder mehr bekannte und erfolgreiche Kandidat*innen bescheren. «Die Partei muss wieder junge Leute für sich begeistern», sagt Dürr, aber dafür sei nicht er, sondern in erster Linie der neue Vorstand verantwortlich. 

Bewegt sich Dürr momentan lieber im Hintergrund, um dann im richtigen Moment wieder nach vorne zu treten? «So im Hintergrund bin ich ja nicht», sagt Dürr. Er äussere sich immer wieder mal auf Social Media zum einen oder anderen Thema, «das mach ich noch gern, ich bin ja politisch interessiert».

Im Schweizer Monat erscheint weiterhin regelmässig seine Kolumne «Freie Sicht». 

Baschi Dürr schaut zur grossen Uhr in der Mitte des Wettsteinplatzes, er habe noch einen Termin. Pause machen, das ist eben doch nicht sein Ding.

«Ich will mich nicht nach vorne drängen, aber ich verstecke mich auch nicht krampfhaft», sagt er zum Abschluss. «Mit Mitte 40 ist man noch relativ jung.» Seine politischen Ambitionen hat er noch nicht begraben. Im Moment stehe aber nichts Konkretes an. Ein endgültiger Abschied aus der Politik hört sich anders an.

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