«Ich entscheide, was ich für gut oder recht befinde»

Im Interview erfährt Bajour vor allem, was SVP-Regierungskandidat Stefan Suter nicht ist, was er alles rückgängig machen würde, wieso er dankbar für die 10-Millionen-Initiative ist, obwohl er die Zuwanderung von Arbeitskräften befürwortet und weshalb das nächste Mal lieber er die Fragen stellt.

Stefan Suter 2024
Stefan Suter, Regierungskandidat der SVP, erhofft sich ein besseres Resultat als vor vier Jahren. (Bild: Dominik Asche)

Stefan Suter, wie geht es Ihnen in diesem Wahlkampf? 

Gut. 

Sie haben keinen einzigen Social-Media-Account. Kann man so im Jahr 2024 Wahlkampf machen?

Es gibt ja Social Media von der Partei und vom Umfeld. Ich bin der Überzeugung, dass man das heute so machen kann, vor allem, wenn man schon einen gewissen Bekanntheitsgrad hat.

2020 hatten Sie etwas mehr als 12'700 Stimmen geholt. Das ist etwas mehr als die Hälfte der Stimmen, die Stephanie Eymann gemacht hat. 

Das war ein ausgesprochen gutes Resultat. Wir waren damals ganz alleine und ich war neu in der Politik. Jetzt ist die Ausgangssituation eine andere: Wir sind in einer bürgerlichen Zusammenarbeit und da dürfen wir uns mehr erhoffen.

Stefan Suter 2024
Zur Person

Dr. Stefan Suter, Jg. 1964, ist Anwalt und sitzt seit Februar 2021 für die SVP Basel-Stadt im Grossen Rat. Ausserdem ist er Gemeinderat in Riehen. Bereits 2020 wollte Suter für die SVP den Sprung in die Regierung schaffen, diesen Herbst versucht er es erneut. Suter engagiert sich in zwei gemeinnützigen Vereinen, dem Verein Afrika und dem Verein Madagaskar. Beide Vereine hat er gegründet, ausserdem präsidiert er sie. In seiner Freizeit kümmert sich der SVP-Politiker um seine Schafherde.

Sie sind aber bei Weitem nicht der bekannteste oder präsenteste Basler SVP-Politiker. Sind Sie ein Lückenbüsser? Weil die anderen Bürgerlichen sonst einem gemeinsamen Ticket nicht zugestimmt hätten?

Ich muss es Ihnen überlassen, wie Sie den Bekanntheitsgrad einschätzen. Ich sehe mich nicht als Lückenbüsser. Gerne weise ich auf meine Exekutiverfahrung als Gemeinderat von Riehen hin. Riehen ist die zweitgrösste Gemeinde der Nordwestschweiz.

Trotzdem: Es gibt keine Wahlkampfwebseite von Ihnen. Es gibt kein prominentes Foto von Ihnen auf der Webseite der SVP Basel-Stadt. Im Wahlflyer sind Sie auf der zweitletzten Seite mit einem grossen Bild. Es scheint, als ob Ihre Partei vor allem das Ziel hätte, Sitze im Grossen Rat zu gewinnen und nicht in die Regierung einzuziehen. 

(lacht) Hören Sie, ich weiss nicht, was Sie hier wahrnehmen, was Sie für einen Flyer erwähnen. Den kenne ich gar nicht. Es gibt so viele Flyer, die in Arbeit sind.

Wir können Ihnen den Flyer gerne zeigen. (zeigt den Wahlflyer der SVP auf dem Laptopbildschirm, auf Seite 7 von 8 ist Suter zu sehen)

Ah, das ist natürlich ein Flyer für den Grossen Rat. Ich weise darauf hin, dass ich von der SVP einstimmig nominiert wurde. Wenn Sie jetzt finden, der Wahlkampf der SVP für mich sei schwach, lasse ich das so stehen. Ich finde das nicht.

Sie haben zur bz gesagt, dass Sie politisch sind, aber nicht parteipolitisch. Was heisst das? 

Ich kann mich an das Zitat nicht erinnern.

Das war jetzt grad im bz-Porträt zu lesen. 

(überlegt) Also der erste Teil ist klar, ich bin politisch als auch parteipolitisch. Aber ich bin kein Parteisoldat. Ich entscheide am Schluss vor allem selber, was ich für gut oder recht befinde. Das ist häufig deckungsgleich mit meiner Partei. Aber mein Anspruch ist, dass ich zuerst einmal für mich entscheide, wie etwas zu beurteilen ist. 

Entschuldigung, Sie haben da eine Ameise. (zeigt auf Suters Hemd)

Oh. (lacht) Die Naturverbundenheit.

Apropos Themen, die Sie persönlich interessieren: Im Grossen Rat sitzen Sie jetzt fast vier Jahre, in der Zeit haben Sie bis jetzt vier parlamentarische Vorstösse eingereicht. Was haben Sie bis jetzt im Grossen Rat erreicht? 

Ich weiss nicht, wie häufig Sie im Grossen Rat sind. Es werden dort nicht zu wenige, sondern viel zu viele Vorstösse eingereicht. Von diesen sind leider auch einige sinnlos. Einige Politiker fühlen sich gezwungen, Vorstösse einzureichen, um ihre Klientel zu bedienen. Das ist nicht mein Stil. Als Gemeinderat von Riehen lege ich mir auch eine gewisse Zurückhaltung auf, da ich dort für die Exekutive Vorstösse behandle bzw. beantworte. Es ist auch ein Irrglaube zu meinen, mit jedem Vorstoss könne man etwas erreichen. 

Nicht?

Man kann sehr viel erreichen, indem man Vorstösse unterstützt oder mit anderen zusammen initiiert. Man kann auch versuchen, Anpassungen oder Abschwächungen auszuhandeln.

Stefan Sutter 2024
Stefan Suter fühlt sich von seiner Partei gut unterstützt. (Bild: Dominik Asche)

Sind Sie linker als Eva Biland? Ihr Smart Spider suggeriert das. 

Ich glaube nicht, aber ich habe mich nicht mit den einzelnen Positionen von Eva Biland auseinandergesetzt.

Sie haben gesagt, Sie seien kein Parteisoldat. Wenn man Ihren Smart Spider mit dem einer FDP-Politikerin abgleicht, könnte man auch fragen, warum Sie vor vier Jahren nicht der FDP beigetreten sind?

Die Partei ist ja nicht ein Spiegelbild des einzelnen Politikers, sondern man schaut, wo die Schnittmenge am grössten ist.

Und die war bei der SVP am grössten?

Ja. Damit ist nichts gegen die FDP und nichts gegen andere bürgerliche Parteien gesagt. Im Grossen Rat stimmen wir ja fast immer gleich.

Sie haben als Anwalt auch schon die Basler Nationalrätin Sibel Arslan von der Basta vertreten. Hilft Ihr Beruf, Rechts-Links-Gräben zu überwinden?

Ja, das ist eine interessante Überlegung. (Zögert) Ich glaube schon. Am Schluss ist es aber eher die Persönlichkeit, die zur Überwindung von Parteigrenzen beiträgt. 

Jetzt überlegen Sie, den Job als Anwalt an den Nagel zu hängen, wenn Sie in den Regierungsrat gewählt werden würden. Bei Ihrer Kandidatur vor vier Jahren wollten Sie ins Justiz- und Sicherheitsdepartement. Und jetzt greifen Sie den Sitz von Esther Keller im Bau- und Verkehrsdepartement (BVD) an? 

Ja, das ist der Sitz, der frei wird. 

Das ist Ihre These.

Es ist alles immer nur eine These.

Stefan Suter 2024
«Ich bin für jedes Departement offen. Es geht aber vor allem darum, im Gesamtregierungsrat andere Mehrheiten hinzubekommen.»
Stefan Suter über das Ziel seiner Kandidatur für die SVP

Wäre das BVD Ihr Wunschdepartement?

In der jetzigen Konstellation, ja. Aber ich bin für jedes Departement offen. Ich wehre mich allerdings gegen die reine Departementsdenkerei. Es geht ja vor allem darum, im Gesamtregierungsrat andere Mehrheiten hinzubekommen.

Und wenn Sie jetzt dort landen würden, was würden Sie umsetzen wollen?

Ich würde zuerst die Erhöhung der Parkkartengebühren rückgängig machen. Und zwar aus sozialen Gründen. Ich bin zwar Autofahrer, aber seit frühester Jugend ein passionierter Velofahrer. Somit steht nicht irgendeine Autolobby hinter mir. Aber wenn man Parkkarten erhöht, dann werden Familien, Pendler und Schichtarbeiter schlecht behandelt und das gefällt mir nicht.

Diese Erhöhung ist ja auch ein Mittel, um die Anzahl Autos in der Stadt zu reduzieren, auch wegen der Klimaziele. Wo würden Sie denn ansetzen? Oder möchten Sie gar keine Autos reduzieren?

Ich wiederhole gerne: Ich bin ein Velofahrer. Aber man kann nicht mit ideologischen Scheuklappen durchs Leben ziehen. Das Auto bringt auch viele Vorteile. Zudem gibt es Leute, die ein Auto brauchen, wenn sie am Morgen um 5 Uhr als Schichtarbeiter in Pratteln anfangen müssen.

Also müssten dann andere Leute, die das Auto nicht unbedingt brauchen, es abgeben? Oder wie schaffen Sie es, die Klimaziele zu erreichen?

Im Moment werden mit dieser Anti-Autopolitik die Leute schikaniert. Eine Familie macht z. B. einen Ausflug, kommt heim und findet keinen Parkplatz. Das sind doch keine Umweltsünder. Wenn diese Leute keinen Parkplatz finden, hat das doch mit den Klimazielen nichts zu tun.

Es geht ja um die Anzahl Autos und um Diesel- und Benzinmotoren, die reduziert werden sollen, so steht es in der Klimaschutzstrategie des Kantons. Da würden Sie nicht ansetzen?

Es gibt weltweit die Bestrebung, den Individualverkehr auf Elektroautos umzustellen. Da muss der kleine Kanton Basel-Stadt gar nicht mehr tun. Diese ständigen Einschränkungen führen zur Überforderung der Bevölkerung – die Leute muss man mitnehmen. Es werden Strassen zugemacht, dann werden sie wieder aufgerissen. Die Anwohner finden keinen Parkplatz. Die Leute leiden, das betrifft doch auch die Lebensqualität.

Stefan Suter 2024
«Die Bevölkerung wird von den Klimazielen überfordert.»
Stefan Suter über das Netto-Null-Ziel 2037

Aber wo würden Sie dann ansetzen? Wie wollen Sie die Anzahl Autos und die Emissionen reduzieren?

Wie gesagt: Es gibt immer mehr Elektroautos.

Und wie schafft man es, die Bevölkerung mitzunehmen? 

Es muss zumindest die Überlegung erlaubt sein, ob man zur Erreichung der Klimaziele nicht 1-2 Jahre mehr anberaumt. Aufgrund der ambitionierten Ziele in unserem Kanton ist Baselland aus dem Vertrag für das Lufthygieneamt beider Basel ausgestiegen. 

Also würden Sie es noch ein Jahr hinauszögern bis 2038?

Ich habe gesagt, man muss darüber nachdenken. Man sieht einfach, dass die Bevölkerung überfordert wird, daran halte ich fest. 

Aber was würden Sie dann umsetzen oder einführen wollen, um die Klimaziele zu erreichen? Das müssten Sie ja in der Regierung.

Es laufen doch jetzt schon die ganzen Massnahmen, da müsste man nichts neu erfinden. Es wäre im Gegenteil zu überlegen, ob wirklich alle diese Massnahmen in diesem Tempo sinnvoll sind. Der neuste Vorschlag der links-grünen Regierung ist ja, dass man auf jedem Dach Solarpanels bauen muss. 

Das finden Sie falsch?

Ich habe etwas gegen Zwang. Wer keinen Solarpanel montiert, muss eine Strafe zahlen, das nennt sich dann Ersatzabgabe. Es gibt Leute, die das nicht zahlen können. Die Bevölkerung ist doch für die Klimaziele. Wenn Solarstrom auf den Dächern gefördert wird, werden sich die allermeisten Hauseigentümer daran halten. 

Sie argumentieren sozialbewusst und würden vor allem auf Freiwilligkeit setzen.

Ja, natürlich.

Und Sie glauben, das würde fruchten bis 2037? Oder bräuchte man dann 10-15 Jahre länger? 

(lacht) Das weiss ich natürlich nicht. Die Bevölkerung hat den Klimazielen zugestimmt, deswegen gehe ich davon aus, dass grossmehrheitlich die Solarzellen montiert werden. Ich bin aber gegen Zwang.

Aber im Moment sind etwa 90 Prozent der Dächer noch frei in Basel. 

Ja, es wurde auch jahrelang nicht besonders gefördert. Ich wollte bereits vor 20 Jahren auf meinem Dach eine Photovoltaikanlage installieren lassen. Die IWB ermöglichte dies nicht. 

Ist denn die Förderung, die es inzwischen gibt, ausreichend? 

Ja, die Förderung ist in Ordnung.

Machen wir da weiter, wo es parteipolitisch wird: Die SVP Basel-Stadt hat den Fokus für den Wahlkampf auf das Thema Sicherheit gelegt, gekoppelt an Migration. Ist die Sicherheit auch Ihr Steckenpferd?

Natürlich. Aufgrund meiner bald 35-jährigen Tätigkeit als Anwalt kenne ich die Kriminalität und ihre verschiedenen Formen bestens. Wie wir alle wissen, ist das ein grosses Problem. 

Glauben Sie, das Thema Sicherheit ist auch für die Bürger*innen das Thema Nummer 1?

Ja, ich glaube schon. Es spielt keine Rolle, was in der Rangliste Nr. 1 und 2 ist, die Sicherheit ist jedenfalls ein Problem. 

Wohnen ist zum Beispiel ein grosses Thema. 

Ja, es gibt einfach Themen, die die Leute beschäftigen. Und das Thema Sicherheit beschäftigt die Bevölkerung sehr, vor allem auch die Kleinkriminalität, die nicht wirklich bekämpft wird. Man sieht in den Medien die grossen, schockierenden Fälle, aber die Bevölkerung leidet stark unter Kleinkriminalität wie Taschenentreissdiebstählen und E-Bike-Entwendungen. 

Auf dem Flyer der SVP, den ich Ihnen vorher gezeigt habe, heisst es: «Einbrüche, Raub, Gewalt und Vergewaltigungen: Alltag in Basel». Es ist so: Die Zahl der Vermögensdelikte ist gestiegen, aber zum Beispiel sind im vergangenen Jahr die Gewaltdelikte zurückgegangen, genauso wie die Zahl der Vergewaltigungen. Denken Sie, mit so einem Slogan schürt man Angst?

Erlauben Sie die Vorbemerkung: Ich stehe voll hinter der SVP Basel-Stadt, deshalb hat sie mich einstimmig nominiert. Aber für Parolen, die die Parteileitung aufstellt, bin ich nicht zuständig. Da müssten Sie Präsident Pascal Messerli fragen. 

Wir wüssten gern Ihre Meinung dazu …

Schon klar. Ich entziehe mich dieser Frage nicht, aber der Slogan wurde eben nicht von mir gewählt. 

Fühlen Sie sich sicher in Basel?

Ja, ich fühle mich sicher, was verschiedene Gründe hat. Ich bin ein grossgewachsener Mann. Das hat einen Vorteil, man wird von Drogendealern gar nicht angesprochen. Überdies sitze ich relativ selten bis gar nie am Morgen um halb drei an irgendwelchen Plätzen. 

Basel ist ein Grenzkanton, der einzige Kanton, der nur aus Grossstadt besteht, anders als Genf oder Zürich. Wieso glauben Sie, dass der Fokus auf die Kriminalität mit der Aussage «kriminellste Stadt der Schweiz» trotzdem verfängt?

Sie können jetzt am Tag z. B. durch die Clarastrasse gehen. Das ist selbstverständlich völlig gefahrlos. Niemand will Basel mit Abuja (Hauptstadt von Nigeria, Anm. d. Red.) oder mit einer anderen Grossstadt in Afrika vergleichen. Aber es gibt die Alltags- und Kleinkriminalität wie das Stehlen einer Handtasche, und darunter leidet die Bevölkerung. 

Entreissdiebstähle nennt man das. Diese sind im vergangenen Jahr um 169 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen ist das ein Anstieg von 36 Fällen auf 97 Fälle. Das ist aus Ihrer Sicht vermeidbar?

Ja, das finde ich sehr viel. Das ist Kriminalität, die Menschen in ihrem Sicherheitsgefühl verletzt. Das Stehlen einer Handtasche nennt man übrigens nicht Entreissdiebstahl.

Stefan Suter 2024
Stefan Suter will gegen die Kleinkriminalität vorgehen. (Bild: Dominik Asche)

Wie finden Sie es, dass in Wohnquartieren Asylunterkünfte entstehen? Zuletzt gab es im Neubad Diskussionen wegen eines Wohnheims für UMA.

Das ist äusserst problematisch. Von meinem Menschenbild her habe ich nichts gegen Asylbewerber. Das sind Menschen wie Sie und ich. Da gibt es keinen Unterschied. Aber man hat keinerlei Überblick über die Vorgeschichte dieser Menschen. 

Ist es nicht besser für die Menschen, die herkommen, und für deren Integration, wenn sie in einem Wohnquartier untergebracht sind, und nicht am Stadtrand oder in einer Zivilschutzanlage?

Das kann natürlich schon sein. Aber jetzt haben wir die Thematik, dass die Anwohner sich zur Wehr setzen, weil sie Angst haben.

Die Anwohner*innen sorgen sich nicht um die minderjährigen Geflüchteten, sondern vor allem darum, wer danach in das Haus einzieht. Aber nochmal, wieso ist es problematisch, wenn Geflüchtete im Wohnquartier untergebracht werden?

Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb Flüchtlinge, die wegen Krieges oder aus anderen Gründen hierherkommen, nicht in einer Zivilschutzanlage schlafen können. Während des Militärdienstes musste ich auch in solchen Behausungen übernachten. Aber wenn jemand vor dem Krieg flüchtet, ist er dankbar, wenn er in einem Zivilschutzkeller schlafen kann.

Es geht auch um Kinder, die zum Teil vorher traumatisiert wurden, und in diesem Fall geht es um unbegleitete Minderjährige … 

(unterbricht) Ja, das ist schon ein Problem.

Kommen wir jetzt auf die nationale Ebene und zur 10-Millionen-Initiative der SVP: Finden Sie auch, dass zu viele Menschen in die Schweiz kommen? 

Ich bin der SVP Schweiz sehr dankbar, dass sie dieses Thema immer wieder aufbringt. Es handelt sich um ein Tabuthema, obwohl die Zuwanderung immens ist. Ich persönlich habe kein Problem mit zugewanderten Menschen. Ich bin aber auch keiner beruflichen Konkurrenz ausgesetzt und offen für andere Kulturen. Aber man muss sehen: Als ich in die Primarschule ging, waren wir sechs Millionen, jetzt sind es neun und irgendwann werden es zehn. Das ist ein Problem.

Wie löst man das Problem?

Ich bin im Moment nicht für Massnahmen, um irgendetwas zu stoppen. Aber es kann schon der Punkt kommen, an dem man sagen muss: Jetzt geht es nicht mehr so weiter. 

Und dann? Was wäre dann die Massnahme?

Das weiss ich noch nicht. Aber Sie müssen sehen: Die Schweiz wird zugebaut. Im Jahr 2023 wanderten über 100’000 Menschen in die Schweiz ein. Dieses grosse Problem muss man im Auge behalten, wenngleich ich jetzt keine Sofortmassnahme fordere.

Stefan Suter 2024
«Die Schweiz sollte nicht jede Vertragsvorlage unterschreiben, nur damit sie an die EU angebunden ist.»
Stefan Suter über das neue Abkommenpaket mit der EU

Glauben Sie, die Schweiz profitiert zurzeit mehr von der Zuwanderung, als dass sie einbüsst? 

(überlegt) Da müsste ich jetzt eine ökonomische Studie einfordern. Die Schweiz profitiert natürlich, wenn intelligente Menschen einwandern, um z.B. in der Pharmaindustrie tätig zu sein. Sie profitiert auch vom kulturellen Austausch, wenn Menschen andere Ideen einbringen. Aber es leidet auch die Identität der Schweiz. Ein Teil davon geht verloren. 

Sehen Sie das auch in Bezug auf die EU und die Personenfreizügigkeit?

Wir müssen natürlich über geordnete Vertragsverhältnisse mit der EU verfügen. Aber die Schweiz sollte nicht jede Vertragsvorlage unterschreiben, nur damit sie an die EU angebunden ist. 

Die SVP Schweiz ist gegen das neue Abkommenpaket mit der EU. Das gefährdet den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Für Basel wäre das wirtschaftlich katastrophal. Wie sehen Sie das, sollten die Bilateralen III kommen?

Ich habe mich offenbar zu wenig deutlich ausgedrückt: Die vertragliche Bindung mit der EU ist eine Selbstverständlichkeit. Aber im Vertragsrecht ist es üblich, dass man zunächst die Vor- und Nachteile prüft: Was bringt uns der Vertrag an Vorteilen, was bringt er uns an Nachteilen? Das muss man abwägen. 

Welche Nachteile sehen Sie?

Es ist doch seltsam, wie einige Personen vorauseilend dem Vertrag zustimmen, obwohl sie die Schlussfassung gar nicht kennen. Eckpunkte sind bekannt, aber es wird immer noch darüber verhandelt. Unverständlicherweise soll eine dynamische Rechtsübernahme vereinbart werden, wonach die EU das Recht hätte, das Recht zu ändern. 

Die Schweiz kann aber immer noch Nein sagen, wenn sie dagegen ist. 

Dann geht es zum Europäischen Gerichtshof.

Der EuGH wird beigezogen, aber das Schiedsgericht entscheidet. Die Schweiz kann dann immer noch Nein sagen, muss aber mit Ausgleichsmassnahmen rechnen. Das heisst nicht, dass sie es umsetzen muss.

Vielleicht muss ich das Interview mit Ihnen machen, wenn Sie das alles wissen. 

Wie meinen Sie das? 

Sie widersprechen mir und wissen das alles. 

Ich möchte es gern richtig stellen. Die Schweiz kann immer noch Nein sagen …

Ja, ja, das dürfen Sie, aber ich staune … Sie haben ja jetzt selber gesagt, dass es Sanktionen gibt. 

Ja.

Und das finden Sie gut?

Also wer stellt jetzt hier die Fragen (lacht)? So ist es vorgesehen. Ich sage nicht, dass ich es persönlich gut finde. 

Also ich finde es schlecht.

Meine Frage ist: Sind Sie bereit, den Zugang zum Binnenmarkt aufs Spiel zu setzen? Das ist das, worum es bei den aktuellen Verhandlungen mit der EU geht.

Selbstverständlich will ich zuerst die Schlussfassung des Vertrags sehen, ich bin schliesslich Anwalt. Alles andere ist nicht seriös. Den Zugang zum Binnenmarkt aufgeben will selbstverständlich niemand. Die Schweiz braucht den Binnenmarkt. Aber nochmals: Es kommt darauf an, was in diesem Vertrag schlussendlich steht.

Interview Stefan Suter 2024
Wer sind hier die Interviewer*innen? (Bild: Dominik Asche)

Bevor Sie hier zum Interviewer werden, gehen wir zu einem anderen Thema. Im SRF-Regionaljournal haben Sie gesagt, Sie wüssten, welche Probleme die Unternehmen haben. Welche Probleme sind das? 

Ich vertrete als Anwalt seit Jahrzehnten auch Unternehmen. Die haben ganz verschiedene Probleme. Mit Baubewilligungen zum Beispiel oder mit Steuerfragen. Das sind nicht die ganz grossen politischen Themen, sondern rechtliche Alltagsprobleme. 

Eine grosse politische Säule, die Kaspar Sutter letzte Woche an einer Konferenz betont hat, ist, dass Unternehmen mit dem Arbeits- und Fachkräftemangel kämpfen. Haben Sie ein Rezept, was man dagegen machen könnte?

Natürlich ist die Ausbildung das Wichtigste. Diese kann eventuell noch verbessert werden und es ist auch festzustellen, wo der Mangel herrscht. Viele junge Leute suchen verständlicherweise einen Beruf aus, der ihnen Freude bereitet. Aber vielleicht sollte man die Ausbildung stärker auch in berufliche Richtung leiten, in welchen Fachkräftemangel herrscht. Dafür habe ich Verständnis. Aber wenn man den Fachkräftemangel ins Visier nimmt, sollte man sicher eher dafür entscheiden, wo Arbeitskräfte fehlen. 

Bis 2040 sollen mehrere Hunderttausend Arbeitskräfte fehlen. Dagegen braucht es verschiedene Ansätze, das sagen auch Wirtschaftsvertreter*innen. Einer sind Fachkräfte aus dem Ausland. Wie geht das zusammen, wenn die SVP Zuwanderung eindämmen will?

Wenn der Fachkräftemangel so riesig sein wird, dann wird man wohl weiter auch die Zuwanderung zulassen müssen. Die Wirtschaft muss doch arbeiten können. 

Stefan Suter 2024
«Ich würde es auch angenehmer finden, den Rheintunnel nicht zu bauen, aber wir brauchen ihn.»
Stefan Suter über das hohe Verkehrsaufkommen

Kommen wir noch einmal zum Verkehr, Sie wollen ja ins BVD. Sie sind klarer Verfechter des Rheintunnels. 

Ja.

Können Sie kurz schildern, warum Sie das für eine gute Idee halten?

Es ist einfach eine Tatsache: Wenn Sie jetzt losfahren, um 15.30 Uhr, stehen Sie möglicherweise eine Stunde auf der Autobahn bis nach Pratteln, wenn Sie Pech haben. 

Also braucht es den Rheintunnel, um den Stau zu reduzieren?

Der Stau wird mitverursacht durch diejenigen, die hier durchfahren. Selbstverständlich wollen die Menschen von Holland, Belgien und Deutschland nach Italien gelangen. Wenn Stau verursacht wird, sind wir einfach eingesperrt. Deshalb ist der Rheintunnel etwas Sinnvolles. 

Die Gegner*innen des Rheintunnels und auch Studien sagen, es wird dadurch nur noch mehr Verkehr geben.

Das sagt man schon seit 50 Jahren, dass neue Strassen neue Autos bringen. Ich würde es auch angenehmer finden, den Rheintunnel nicht zu bauen, aber wir brauchen ihn. 

Auch weil es wieder eine grosse Baustelle wäre?

Ja, eine grosse Baustelle, die die Leute belastet. Dann kommen noch Schrebergärten weg in Birsfelden. Das finde ich auch nicht erfreulich. Aber was will man machen? Wir erleben täglich einen Verkehrskollaps. Und wir können den Nordländern nicht verbieten, hier durchzufahren.

Also im Zweifelsfall müssen Grünflächen für Neubauten dran glauben? Das ist ja auch der Konflikt, den jetzt Esther Keller austragen muss.

Mit dem Rheintunnel?

Insgesamt bei Neubauten in der Stadt. Zum Beispiel beim Ersatzbau der Universitätsbibliothek – dafür wird Grünfläche wegfallen, die woanders kompensiert werden muss, das wird auch aus Ihrer Partei kritisiert. 

Für die Stadt Basel fällt beim Rheintunnel aber nicht viel Grünfläche weg. 

Die Dreirosen-Anlage wäre betroffen.

Ja. Schade, aber es gibt Sachzwänge. 

Stefan Suter 2024
«Über das Weltklima wird nicht in diesem Bonsai-Kanton entschieden.»
Stefan Suter über einen Klimafonds für Basel

Zum Schluss noch kurz zu den Finanzen. Sie waren eineinhalb Jahre lang Präsident der Finanzkommission. Basel hat 434 Millionen Überschuss. Was müssen wir mit diesem Geld machen? Steuern senken oder sinnvoll investieren?

Tatsache ist doch, dass man erfreulicherweise zu viel eingenommen hat. Also würde man das doch denjenigen, die zu viel bezahlt haben, wieder zurückgeben. Und zwar den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, nicht den anderen.

Zurücküberweisen? 

Das ist eine logische Folge der zu grossen Einnahmen. Ein entsprechender Vorstoss ist irgendwie logisch und ist im Grossen Rat auch durchgekommen. Aber die Umsetzung ist nicht so einfach, das muss man fairerweise sagen. Was wir ablehnen ist, dass man alle Einwohnerinnen und Einwohner irgendwie begünstigen will. 

Sagen wir mal, theoretisch, Sie müssten die 400 Millionen investieren. Wo würden Sie das tun?

Ich würde es nicht investieren. Ich würde es zurückgeben.

Aber wenn Sie müssten?

Man muss nie investieren.

Dann lieber behalten für schlechte Zeiten?

Ja. Das ist ein guter Hinweis von Ihnen. Die rosigen Fiskalzeiten sind nicht in Stein gemeisselt. Das kann sich schnell ändern, auch wenn es jetzt schon häufig grosse Überschüsse gab. Wir haben ja nicht zu wenige Investitionen. Es läuft eigentlich zu viel, wenn man an die unzähligen Baustellen denkt. Das belastet die Bevölkerung. 

Auch beim Klima wird genug investiert? Regierungskandidatin Anina Ineichen von den Grünen findet, der Überschuss sollte in einen Klimafonds fliessen. 

Klimafonds für Basel oder für die Welt? 

Für Basel. 

Nein, da bin ich überhaupt nicht einverstanden. Nochmals: Es ist ja richtig, wenn man die Klimaziele ernst nimmt. Aber trotzdem muss man feststellen: Über das Weltklima wird nicht in diesem Bonsai-Kanton entschieden. 

Wir machen hier jetzt einen Punkt. Das ging länger als gedacht. Herr Suter, vielen Dank für Ihre Zeit.

Das könnte dich auch interessieren

Anouk Feurer

Michelle Isler am 19. November 2024

Wer anzeigen will, muss zahlen

Seit 2024 darf die Staatsanwaltschaft bei Anzeigen wegen Ehrverletzung eine Art Depot verlangen. In Basel beträgt sie 800 Franken. JGB-Grossrätin Anouk Feurer findet das «absurd».

Weiterlesen
David Rutschmann und Christophe Schneider

David Rutschmann am 18. November 2024

«Ich habe mir für die Einbürgerung keinen Timer gestellt»

Deutsche sind die grösste ausländische Diaspora in Basel, sie machen neun Prozent der Basler Bevölkerung aus. Zwei von ihnen: Christophe Schneider, der sich seit sechs Jahren nicht einbürgern lässt, und David Rutschmann, der noch acht Jahre warten muss. Ein Gespräch über das Ausländer*innenstimmrecht, Bürokratie und Zugehörigkeit.

Weiterlesen
Christophe Haller (FDP), Tamara Hunziker (FDP), Markus Grob (SVP), Franziska Stier (BastA), Christian Heuss (SP), Emélie Dunn (Grüne), Alexander Gröflin (SVP), Miriam Dürr (SP), Hannes Hui (SP), Marina Schai (Mitte) und Martin Leschhorn (SP).

Ernst Field,David Rutschmann am 13. November 2024

Das Nachrückenden-Parlament

In der kommenden Legislatur werden wahrscheinlich einige altgediente Grossrät*innen wegen der Amtszeitsbeschränkung zurücktreten. Wir haben jetzt schon jene Politiker*innen getroffen, die für sie nachrücken würden.

Weiterlesen
Trump ist wieder da Kommentar

Ina Bullwinkel am 08. November 2024

Die Abgehängten an Bord holen

Auch die US-Wahlen zeigen: Die progressive Linke findet kein Mittel mehr, die zu erreichen, die sich wirtschaftlich zunehmend abgehängt und moralisch unterlegen fühlen: Männer. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Michelle Isler

Das ist Michelle (sie/ihr):

Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


Ina Bullwinkel Porträt

Das ist Ina (sie/ihr): Nach journalistischen Stationen u. a. in Bremen (Volontärin, Weser-Kurier) und Berlin (Redaktorin am Newsdesk, ntv.de) hat es Ina mitten in der Corona-Pandemie zu Bajour verschlagen. Dank Baseldytsch-Kurs hat sie sich schnell dem Dialekt der Einheimischen angenähert – ihre Mundart-Abenteuer hält sie regelmässig im Basel Briefing fest. Seit April 2023 ist Ina Chefredaktorin und im Wochenkommentar «Bullwinkels Blickwinkel» teilt sie einmal die Woche ihre Meinung zu aktuellen (meist politischen) Themen.

Kommentare

D. Eicher
Biologe

Pflichten ("Zwänge") und Ersatzabgaben

Ich nehme an, Herr Suter ist auch gegen die Wehrpflicht und die Wehrpflichtersatzabgabe? Und die 10-Mio-Initiative müsste im Fall einer Annahme sicher auch erst bis ins Jahr 2965 umgesetzt werden, ja? Die Stimmbevölkerung hat sich bei der Klimagerechtigkeitsinitiative für das (eigentlich zu späte) 2037 als Zieljahr entschieden. Jetzt wider den Volkswillen und den klaren Verfassungsauftrag weiter zu verzögern spricht nicht von grossem Demokratiebewusstsein und nimmt die Klimaziele sicher nicht ernst. Über das "Weltklima" wird überall entschieden und die Reichen (zu denen wir nun mal gehören) müssen zuerst runter, weil wir auch am längsten profitiert haben. Auch dieses Prinzip steht Dank Initiative in unserer Kantonsverfassung.