«Das Klimaziel wird konsequenter verfolgt, wenn ich auf dem Thron sitze»

Wie die Grüne Regierungsratskandidatin Anina Ineichen Menschen Verzicht schmackhaft machen will und trotzdem gewählt werden möchte.

Anina Ineichen Wahlen 2024
Anina Ineichen will das Regierungspräsidium zurück in grüne Hände holen. (Bild: Ernst Field)

Anina Ineichen, macht Ihnen der Wahlkampf Spass?

Im Moment schon noch, ja. Sonst beschäftige ich mich vor allem mit Velopolitik oder der Pensionskasse, mit dem Budget und der Finanzkommission. Jetzt kann ich alles gesamtheitlich anschauen. Ich mache mir mehr Gedanken um die grossen Zusammenhänge. Das macht mir Freude.

Sie sitzen jetzt seit knapp drei Jahren im Grossen Rat. Glauben Sie, die Menschen kennen Sie schon gut genug, um Sie zu wählen?

Ja, das denke ich. Ich bin zwar erst seit drei Jahren im Grossen Rat, aber ich bin schon lange politisch aktiv. Im Raum Basel ist es ein grosser Vorteil der Grünen, dass wir eine gemeinsame junge Partei haben: Obwohl ich am Anfang noch im Baselbiet gewohnt habe, hatte ich bereits Einblick in die Basler Politik. Auch als Co-Präsidentin von Pro Velo beider Basel war ich in der Öffentlichkeit.

Anina Ineichen Wahlen 2024
Zur Person

Anina Ineichen ist seit zweieinhalb Jahren Grossrätin für die Grünen Basel-Stadt und sitzt in der Finanzkommission. Politisch engagiert ist die 38-Jährige aber bereits seit ihrer Jugend, zuerst im Baselbieter Jugendrat, ab 2009 als Co-Präsidentin des Jungen Grünen Bündnisses Nordwest. Auch heute ist sie Co-Präsidentin: einerseits des Verwaltungsrats der Basellandschaftlichen Pensionskasse, andererseits von Pro Velo beider Basel. Hauptberuflich arbeitet Ineichen als Abteilungsleiterin Soziales und Kultur sowie stellvertretende Leiterin der Gemeindeverwaltung Arlesheim. Ineichen ist Mutter zweier Kinder und mit dem Grünen-Grossrat Oliver Thommen verheiratet.

Finden Sie es immer noch schlau, dass Basta und Grüne je eine Kandidatin aufstellen, bzw. glauben Sie, die Strategie der Basler Grünen wird aufgehen, die rot-grüne Mehrheit in der Regierung wiederherzustellen? 

Sonst würde ich nicht kandidieren. Es ist eine schwierige Ausgangslage. Aber ich habe mir gesagt: Vom Nicht-Kandidieren wird man auch nicht gewählt. Es gibt Beispiele in Schweizer Städten oder Kantonen, wo die Ausgangslage ähnlich schwierig war und es geklappt hat.

Verarbeitet ihre Partei mit der Kandidatur als Regierungspräsidentin nicht vor allem den «Komplex Ackermann», also den Verlust des Sitzes 2020, bzw. die Haltung «Das Präsidium gehört uns»?

Ich glaube nicht, dass meine Partei einen Komplex verarbeitet. Wir haben eine zukunftsgerichtete Strategie und von der Grösse her einen Anspruch auf einen Regierungsratssitz. Welcher Sitz das ist, ist offen. Ich kandidiere für das Regierungspräsidium, weil es mir wichtig ist, dass in diesem Amt eine Politik gemacht wird, hinter der ich stehen kann.

Als Ihre Kandidatur bekannt wurde, waren sich viele Medien einig, dass Sie keine grosse Konkurrenz sind für die bestehenden Regierungsmitglieder, auch Bajour hat das geschrieben. Wie ging es Ihnen damit?

Ich bin genug realistisch, um zu wissen, dass es eine schwierige Ausgangslage ist. Aber vor so etwas darf man sich nicht zurückschrecken lassen. 

Gewinnen würde dann heissen, Sie haben sich durch den Wahlkampf vor allem profiliert?

Gewinnen heisst gewählt werden. Für mich als Person ist es aber in jedem Fall ein Gewinn an wertvollen Erfahrungen.

Anina Ineichen Wahlen 2024
Die Grüne Regierungskandidatin will ESC-Besucher*innen, die ökologisch anreisen, belohnen. (Bild: Ernst Field)

Sie wollen Beat Jans' Erbe der Klima-Loki weiterführen, wenn Sie den Sprung ins Präsidium schaffen. Glauben Sie, Sie können Conradin Cramer vom Thron stossen? 

Es ist anspruchsvoll, aber ich glaube, gerade in Basel-Stadt, wo sich die Bevölkerung ein Klimaziel gegeben hat, das super ambitioniert ist, ist es möglich, dass dies bei den Wahlen anerkannt wird. Man kann das nicht nur in die Verfassung schreiben, man muss nun auch den Weg begehen. Und dieser wird konsequenter verfolgt, wenn ich auf dem Thron sitze (lacht).

Conradin Cramer ist gerade mal etwas mehr als 100 Tage im Amt. Wäre es überhaupt sinnvoll, das Departement jetzt schon wieder in neue Hände zu geben?

Das ist halt Demokratie. Wir Politiker*innen haben keinen Anspruch, zu bleiben, nur weil es vernünftig scheint. Er hat nach 100 Tagen bereits gezeigt, dass ihm die Fachstelle Klima nicht so am Herzen liegt. Auch beim Wohnschutz merkt man, wohin es gehen soll. Das gibt mir genug Argumente, um zu sagen, dass ich andere Prioritäten hätte.  

Cramer ist mit dem ESC in Basel ein kleiner Coup gelungen. Es scheint, als hätte er damit die Wahl bereits für sich entschieden.

Nein, das glaube ich nicht. Es war ja auch nicht nur sein Erfolg, es gab eine gute Kampagne. Er hatte seinen kurzen Moment, jetzt wird es wieder um Sachpolitik gehen. Mittel- und langfristig ist der Wohnschutz oder das Klima wichtiger.

Würden Sie übernehmen und nächstes Jahr beim ESC zur Begrüssung auf der Bühne stehen, würden Sie Cramers Lorbeeren einheimsen?

Aber ist das nicht normal? Man muss ja die Geschäfte übernehmen. Er musste auch jene von Beat Jans übernehmen. Man sieht auch beim Atici-Cramer-Wechsel: Da übernimmt man Lorbeeren oder das Gegenteil. Beim ESC könnte man zum Beispiel bei der ökologischen Nachhaltigkeit wegweisende Schwerpunkte setzen.

Dazu hatten Sie ja bereits einen Tweet abgesetzt. Was bedeutet es, so einen Event nachhaltig in Bezug auf die Umwelt zu gestalten? Keine Röhrli und Plastikbecher? 

Es hat mit viel gravierenderen Sachen zu tun. Wie reisen die Leute an? Wie wohnen sie hier? Wie reisen sie wieder ab? Plastikbecher sind ja im Umweltgesetz geregelt. Man müsste schauen, wie man möglichst viele Leute dazu bewegen kann, mit dem Zug anzureisen, mit Cars, nicht mit dem Flugzeug. 

Inwieweit kann man denn darauf Einfluss nehmen, wie die Künstler*innen und Fans aus dem Ausland herkommen?

Wir müssen sicherstellen, dass die Anreise mit der deutschen, Schweizer und der französischen Bahn gut funktioniert, dass es Extrazüge gibt. Aber wir müssen auch schauen, dass die Feinverteilung in Basel optimal geplant wird. Man könnte Velospot gratis zur Verfügung stellen. Es braucht auch ein gutes ÖV-Konzept und ein Konzept für Velos und Fussgänger*innen, so kann man extrem viel CO2 einsparen. Man kann sich auch überlegen, die Leute, die mit dem Zug kommen, zu belohnen. 

Ihre Grünen-Grossratskollegin Fleur Weibel hat eine Interpellation eingereicht und fragt die Regierung, was sie für die Anerkennung von nicht binären Menschen tun will. Überladen Sie den ESC nicht? Was wäre überhaupt möglich?

Alleine die Diskussion ist hilfreich, um die Menschen sichtbar zu machen. Wie heissen wir sie willkommen? Wie verhindern wir, dass sie diskriminierende Erfahrungen machen? Und dann sind es vielleicht auch alltägliche Sachen wie öffentliche WCs, auf denen sich alle wohlfühlen müssen.

Anina Ineichen Wahlen 2024
«Die Frage ist doch, will man der Beste sein oder will man gut sein? Wir sind eben nur die Besten, wir sind nicht gut, das hat das Rating klar gezeigt.»
Anina Ineichen zum Energie-Klima-Rating des WWF

Sie haben sich aufgeregt, dass Conradin Cramer, ihr Gegenkandidat fürs Präsidialamt, die Fachstelle Klima auf Doppelspurigkeiten durchleuchten will. Was ist denn daran falsch? 

Grundsätzlich sind Evaluationen normal, aber es ist erst zwei Jahre her, dass die Stelle geschaffen wurde, ausserdem haben wir die Klimaziele. Ich habe nicht den Eindruck, dass es bei der Evaluation darum geht, zu schauen, wie wir unterwegs sind, sondern eher um die Frage, ob es die Fachstelle überhaupt noch braucht.

War es denn der richtige Weg, die Fachstelle im PD anzusiedeln, wenn doch das Energiedossier im Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (WSU) bei der Solaroffensive federführend ist?

Ich glaube, es war der richtige Weg. So sind es zwei Stimmen im Regierungsrat, die das Thema vorwärts bringen und vertreten. Es gibt viele Querschnittaufgaben, die man im PD übernimmt. Und ich glaube, man nimmt dadurch auch eine strategische Funktion wahr. 

Mit dem SP-Regierungsrat Kaspar Sutter scheint es ökologisch aber doch gut vorwärts zu gehen. Beim Energie-Klima-Rating des WWF ist Basel auf Platz 1. Warum braucht es Sie dann als grüne Kraft in der Regierung noch? 

Die Frage ist doch, will man der Beste sein oder will man gut sein? Wir sind eben nur die Besten, wir sind nicht gut, das hat das Rating klar gezeigt. Wir geben uns mit einer wahnsinnig tiefen Note zufrieden, die wir im Übrigen auch nur haben, weil alle anderen noch schlechter sind. Mein Ziel ist 2037 und ich will alles dafür machen, dass wir das erreichen. Das ist ein Auftrag der Bevölkerung.

Und haben Sie das Gefühl, mit der Klimaschutzstrategie, die jetzt definiert ist, und dem Aktionsplan, der verabschiedet werden soll, erreichen wir dieses Ziel?

Es ist sehr ambitioniert, ich hoffe, wir schaffen es. 2037 ist ein Augenschlag entfernt, politisch gesehen. Aber ich finde die Klimastrategie sehr spannend, auch die Zweiteilung, die wir gemacht haben. Dass im zweiten Teil Klimagerechtigkeit festgeschrieben ist, finde ich innovativ.

Der jüngste Entscheid des Bundesrates, also das Neubauverbot von AKW quasi zu kippen, muss Sie, die sich bereits als Jungpolitikerin stark gegen Kernkraft eingesetzt hat, schmerzen. Sind Sie in Sorge oder fordern Sie wegen des «Unterschriften-Bschiss» sowieso einen Marschhalt?

Es sind für mich zwei Themen. Klar, die Unterschriften-Geschichte spielt in das AKW-Kipp-Verbot rein, aber da spielt auch das enorme Lobbying rein. Und ich glaube, wir müssen das Lobbying-System der Schweiz anschauen, wie hervorragend es gerade bei Bundesrat Rösti funktioniert. Ich persönlich hoffe auf die bürgerliche Vernunft, dass sie AKWs, die weder versicherbar sind, noch von jemandem gebaut werden, nicht subventionieren wollen. 

In Ihren Aussagen war immer wieder zu erfahren, dass Ihr starker Fokus auf das Klima daher rühre, dass es nun einmal auf alles einen Einfluss habe. Darum die Frage: Ist Ihre Monothematik nicht auch abschreckend für Wähler*innen?

Nein, ich hoffe es nicht. Ich kann es ja auch nicht ändern, dass das ein gesamtgesellschaftliches Thema ist.

Anina Ineichen Wahlen 2024
«Das Finanzdepartement rechnet künftig mit weniger Einnahmen, irgendwann werden wir ins Minus rutschen. Spätestens dann habe ich mit meinen Klimaforderungen einen wahnsinnig schlechten Stand, wenn das Geld nicht reserviert ist.»
Anina Ineichen über die Idee eines Klimabudgets

Gibt es aus ihrer Sicht überhaupt noch Themen ohne Klima?

Doch, es gibt Themen. Aber bei gesamtheitlichen Themen müssen wir das Klima mitdenken. Es ist eine Krise, die Tatsachen schafft, rasch auch Veränderungen bringt. Wir müssen einen Umgang damit lernen. Und zwar in allen Lebensbereichen. Aber natürlich: Man kann auch über ein Smartphone-Verbot sprechen, das hat mit dem Klima überhaupt nichts zu tun.

Die Regierung will mit dem Geld aus der OECD-Mindestbesteuerung Standortförderung betreiben. Da soll auch die Umwelt eine Rolle spielen. Sie hingegen wollen einen grossen Batzen von diesem OECD-Geld in einen Klimafonds stecken. Warum doppelgleisig fahren?

Weil es eben kein grosser Batzen ist, den die Regierung investiert. Nur der kleinste Teil soll in das Klima gesteckt werden, zehn Millionen Franken.

Der Regierungsrat empfiehlt, Ihre Motion nicht zu überweisen. Er sagt, Investitionen in den Klimaschutz sollten weiterhin von demokratisch legitimierten Gremien beschlossen werden und nicht wie von Ihnen vorgeschlagen durch eine Vergabekommission?

Die Regierung sollte die Forderung der Motion lesen. Die Vergabekommission wurde als Beispiel genannt, weil wir so ein Expertengremium in anderen Bereichen haben. Das ist kein unbekanntes System. Aber es ist nur ein Vorschlag. Gefordert wird der Klimafonds, sonst überhaupt nichts. 

Warum ist es wichtig, das Geld zu reservieren?

Das Finanzdepartement rechnet künftig mit weniger Einnahmen, irgendwann werden wir ins Minus rutschen. Und spätestens dann habe ich mit meinen Klimaforderungen einen wahnsinnig schlechten Stand, wenn das Geld nicht reserviert ist. 

Wir haben 434 Millionen Franken Überschuss in Basel. Auch das Geld möchten Sie in den Klimafonds stecken. 

Ja, ich hätte am liebsten ein Klimabudget. Man könnte ausrechnen, wie viel wir jedes Jahr investieren müssen, um das Klimaziel zu erreichen und das entsprechende Geld würde man dann in einem Fonds anlegen, damit es auch wirklich zur Verfügung steht.

Warum wird das Geld nicht den Steuerzahler*innen zurückgegeben? 

Ich glaube, ein Staat darf Überschuss machen. Natürlich haben wir jetzt einen sehr hohen Überschuss erzielt. Aber das gerecht zurückzuvergüten, wird wahnsinnig schwierig. Wenn wir es in einen Klimafonds stecken, haben alle etwas davon.

Anina Ineichen Wahlen 2024
Anina Ineichen findet, Kontrolle ist notwendig, wenn es um die Umsetzung von Gesetzen geht. (Bild: Ernst Field)

Kommen wir zur Gleichstellung. Das ist auch ein Thema im PD, für das sie sich stark machen wollen. Im Moment stehen wir eigentlich ganz gut da. Das Gleichstellungsgesetz ist in trockenen Tüchern, auch die Kita-Initiative ist durch. Was gibt es denn überhaupt noch zu tun?

Das Gleichstellungsgesetz muss erst noch umgesetzt werden, das gibt mega viel zu tun. Das sah man auch beim Behinderten-Gleichstellungsgesetz; die SBB haben ewig gebraucht, um behindertengerechte Haltestellen zu bauen. Man muss gut hinschauen, dass ein Gesetz auch gelebt wird. Denn sonst bringt es nichts. 

Seit einiger Zeit müssen auch kleine Firmen ab zehn Mitarbeiter*innen die Lohngleichheit nachweisen. Selbst Ihr Parteikollege Jérôme Thiriet hat sich darüber echauffiert. Sie aber würden daran festhalten?

Man muss einen Weg finden, dass es auch für die kleinen Betriebe machbar ist. Meine Eltern haben einen Biolandwirtschaftsbetrieb im Baselbiet, da fällt unglaublich viel Kontrolle an. Das muss in einem Verhältnis bleiben. Aber nichtsdestotrotz ist Kontrolle notwendig. 

Es scheint, Sie schrecken nicht unbedingt davor zurück, bürokratischen Aufwand zu betreiben. Ihre Konkurrentin Eva Biland spricht sich hingegen deutlich gegen Bürokratie aus.

Niemand mag Bürokratie. Wenn man ein Gesetz aufstellt, muss man es kontrollieren. Ganz ohne Bürokratie geht es nicht. 

Am 22. September stehen zwei wichtige Abstimmungen an. Sie unterstützen nicht nur die Biodiversitätsinitiative, sondern haben sich am Wirtschaftspodium der HKBB auch für die BVG-Reform ausgesprochen.

Die Frage war, ob es das System vereinfachen würde. Und das würde es. Aber ich bin nicht überzeugt, dass die Reform sozial ist. Das ist ein grosses Dilemma, das ich habe.

Was ist das Problem?

Ich habe zwei Herzen in meiner Brust. Als Co-Präsidentin des Verwaltungsrats der Basellandschaftlichen Pensionskasse sehe ich den Reformbedarf im BVG. Anderseits arbeite ich viel mit Armutsbetroffenen Menschen. Und diese Leute würden in ihren Lohnzeiten mehr Geld bezahlen. Am Schluss aber haben sie sowieso Ergänzungsleistung (EL) und von einer höheren Rente keinen Gewinn. Es gibt dann einfach weniger EL.

Diese Argumentation hat Ihre Parteikollegin und Baselbieter Ständerätin Maya Graf im Interview mit der BaZ als zynisch bezeichnet.

Ja, sie sagt, es würde solche geben, die profitieren, jene, die über der Grenze der EL sind. Das sind ganz viele Frauen. Das sind wahrscheinlich auch geschiedene Frauen. Das stimmt, da hat Maya Graf ihren Punkt. Aber ich finde das extrem schwierig. Es gibt halt auch die Lebensrealität der Menschen, die ohnehin wenig verdienen und dann noch weniger bekommen. 

Ein grosser Vorteil der BGV-Reform soll sein, dass Teilzeit-Angestellte, was häufig Frauen sind, viel mehr in die zweite Säule einzahlen können. Die zweite Säule ist bei Frauen in der Altersarmut entscheidend. Wäre das nicht ein Vorteil, der übertrumpft?

Bei gut ausgebildeten Frauen, ja. Ich würde beispielsweise davon profitieren, aber bin ich wirklich die Klientin, um die es gehen soll? Oder geht es mir um die Teilzeitverkäuferin, die bei AHV-Eintritt Ergänzungsleistungen beziehen muss? Überhaupt: Die Vorsorge-Problematik haben wir nur, weil die AHV-Rente so schlecht ist. Die Pensionskasse sollte ein Supplement sein, um den Lebensstil im Alter beizubehalten. Aber mit der heutigen AHV-Rente ist die Pensionskasse essentiell, um zu überleben. Das ist doch das Problem.

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«In Basel sind wir stolz auf das vielfältige Kulturangebot. Das gibt es nun mal nicht gratis.»
Anina Ineichen zur Verteilung der Kulturgelder

Kommen wir zur Kultur. Die prekäre Situation der Kulturschaffenden beschäftigt Sie.

Genau, wir profitieren alle von der Kultur. Die Kulturvielfalt zeichnet Basel aus. Aber wir sorgen uns nicht genügend, dass die Kulturschaffenden davon leben können. Ich finde auch die Nachrichten mit dem ausbleibenden Gässli-Filmfestival oder der aussetzenden BScene verheerend. Wie kann es sein, dass wir so wichtige Events für Basel nicht auf die Reihe bekommen? Das finde ich erschreckend.

Hoffen Sie auf die Musikvielfalt-Initiative? 

Ich unterstütze die Initiative. Meine Partei hat letzte Woche Stimmfreigabe beschlossen – leider. Ich unterstütze die Vorlage, da es sich um eine unformulierte Initiative handelt. Was mir Kopfweh bereitet, ist, wie die Kulturgelder verteilt werden sollen. Ich will keinen Verteilkampf haben. 

Das heisst, Sie würden das Budget aufstocken wollen? 

Das wäre die einzige andere Möglichkeit. Klar, das Budget ist begrenzt – aber anderseits sind wir in Basel stolz auf das vielfältige Kulturangebot. Das gibt es nun mal nicht gratis. 

Damit sich die Literatur nicht benachteiligt fühlt, wenn schon wieder die klassische Musik mehr Geld bekäme?

Es ist schwierig: Das Theater Basel oder das Symphonieorchester erhalten historisch bedingt viel Geld. Sollten wir über eine neue Kulturgeldverteilung nachdenken? Mir würde das Herz bluten, wenn wir eine Sparte des Theaters schliessen müssten. Aber es darf auch nicht sein, dass andere gar nichts bekommen oder es auf Kosten des Lebensstandards der Kulturschaffenden geht. Damit sind wir so weit, dass schliesslich doch mehr Geld benötigt wird, wenn wir das tolle Angebot behalten wollen.

Anina Ineichen Wahlen 2024
Die Grüne Ineichen setzt sich für ein Miteinander ein: «Es schadet uns, wenn Basel-Stadt und Baselland sich gegenseitig bekämpfen.» (Bild: Ernst Field)

Noch mehr als die Kulturgeldverteilung drückt in Basel der Schuh beim Thema Wohnschutz: Wie würden Sie den Widerspruch auflösen wollen, sanieren zu müssen, um dem Klima gerecht zu werden und gleichzeitig am Wohnschutz festzuhalten?

Sanierungen müssen möglich sein im Klimabereich, zu einem Sanierungsstopp darf es nicht kommen. Die grosse Frage ist, wo man die Abgrenzung macht. Was ist eine Fassadensanierung für den Klimaschutz? Beziehungsweise eine soziale Sanierung? Leute in warmen oder lärmigen Wohnungen leiden überproportional. Es trifft immer die Menschen mit dem kleinsten Geldbeutel am meisten. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen Sanierungen ermöglichen, um Lärmschutz sicherzustellen und Hitze zu minimieren. 

Laut Mieterverband müssten ökologische Sanierungen ja heute schon möglich sein. Aber der Gewerbeverband sagt, sie würden zurückgestellt.

Ja, weil vielleicht eine zusätzliche Sanierung geplant ist. Das muss man anschauen. Ich habe mal in einer Wohnung gewohnt, die wirklich schlecht saniert war. Auf die Mieter*innen die hohen Energiekosten abzuwälzen ist nicht fair. 

Kann man sagen, dass die Linke versagt hat, weil der Wohnschutz nun so viele Gegner*innen hat, dass er gelockert werden muss?

Nein, ich glaube, der Wohnschutz war ein riesiger Erfolg. Aber vielleicht hätte man nach der ersten Vorlage verschnaufen sollen, statt nochmals einen draufzuhauen. Aber wir haben nun eine super Ausgangslage. Und wissen: Die Bevölkerung will Wohnschutz. Das stärkt uns ungemein. Wohnen darf nicht zu teuer sein.

Basel hat eh schon einen linken Ruf. Könnte es nicht auch positiv sein, wenn das Präsidium weiter bürgerlich besetzt ist, um in Bern Sympathien gewinnen zu können?

Es sind andere Gründe, warum wir in Bern nicht gehört werden. Unsere Region ist abgeschnitten. Unsere Investitionen würden immer auch ins Ausland gehen, heisst es. Diese Argumentation hat man auch beim ESC wieder gehört. Auch deshalb müssen wir als starke Region auftreten. Das umfasst zum Beispiel auch die Uni. Auch deshalb war ich damals für die Fusionsinitiative. Es schadet uns, wenn Basel-Stadt und Baselland sich gegenseitig bekämpfen.

Anina Ineichen Wahlen 2024
«Ein Verbot hat einfach den Vorteil, dass es extrem sozial ist, weil es alle genau gleich trifft.»
Anina Ineichen zum Thema Fliegen

Eine ganz andere Frage: Haben Sie eigentlich ein Auto?

Ich habe nicht einmal einen Führerausweis. Ich brauche kein Auto, ich habe ein Cargo-Velo, aber kaufe auch mal Dienstleistungen ein, wenn ich etwas Grosses transportieren muss.

Sie fliegen nicht. Aber sagten, Sie würden ein Flugverbot begrüssen.

Ich würde auch mal fliegen, wenn ich einen gewichtigen Grund hätte. Ferien sind für mich kein gewichtiger Grund.

Was wäre ein solcher? 

Ein Familienanlass wäre für mich ein Anlass, für den ich mir überlegen würde, zu fliegen. 

Also kein Verbot?

Ein Verbot hat einfach den Vorteil, dass es extrem sozial ist, weil es alle genau gleich trifft. Und es ist super effizient. Sozusagen die Ultima Ratio. 

Ein Flugverbot würde eine ganze Branche zerstören. Und damit viele Arbeitsplätze.

Ja, aber wenn ich zwischen durchgehend 40 Grad im Sommer und dem Verlust von Arbeitsplätzen wählen muss ... Vielleicht gibt es dann auch mehr Zugverkehr und damit wieder neue Arbeitsplätze. Flugverkehr ist auf jeden Fall immer noch ein grosser Treiber der Klimakrise.

Es gibt einige Menschen, die der ideologische Ansatz der Grünen abschreckt: Anti-Auto, Anti-Fliegen, Anti-Fleisch, Anti-Billigklamotten, Anti-Plastik. Es gibt viele Zwänge, die mit Klimaschutz einhergehen. Wie macht man den Menschen Verzicht schmackhaft? Die Leute sind ja schon genervt von den neuen Flaschenverschlüssen.

Ich glaube, man muss die positiven Botschaften verkünden. Es ist eben nicht Anti-Fleisch, sondern wir zeigen auf, dass es auch andere Produkte gibt. 

Viele regen sich über die Solarpanel-Pflicht auf. Solche Panels zu installieren, kostet viel Geld. Und wenn man sie nicht installiert, droht eine Strafzahlung. Ist das der richtige Weg? 

Es ist einfach effizienter. Wir stehen unter Zeitdruck.

Noch eine Frage zum Schluss: Wie stolz sind Sie auf Ihren Arbeitsort Arlesheim? Das Dorf wurde kürzlich als eine der schönsten Gemeinden ausgezeichnet.

Es ist ein wunderschönes Dorf. Es hat auch extrem viele innovative Seiten. Im Klimabereich und im sozialen Bereich macht es viel. Aber stolz? Ich bin nicht wirklich stolz auf Sachen, die historisch gegeben sind. 

Wir fragen, weil Sie der bz sagten, Ihnen werde beim Anblick des Baselstabs nicht warm ums Herz.

Basel ist für mich ein Identifikationsfaktor. Ich finde den Rhein, in dem man schwimmen kann, toll. Genauso das Kulturangebot und die Schulen. Bei meiner Antwort in der bz fehlt der Kontext.

Worum ging es?

Um meine politischen Enttäuschungen, etwa um die Fusionsinitiative. Ich bin in Oberwil aufgewachsen, habe eine Bündner Mutter und einen Aargauer Vater. Mir hat es nie eingeleuchtet, dass Basel-Stadt und Baselland zwei Kantone in dieser verflochtenen Region sind. Aber zweifellos finde ich Basel eine tolle Stadt.

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Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

Ina Bullwinkel Porträt

Das ist Ina (sie/ihr): Nach journalistischen Stationen u. a. in Bremen (Volontärin, Weser-Kurier) und Berlin (Redaktorin am Newsdesk, ntv.de) hat es Ina mitten in der Corona-Pandemie zu Bajour verschlagen. Dank Baseldytsch-Kurs hat sie sich schnell dem Dialekt der Einheimischen angenähert – ihre Mundart-Abenteuer hält sie regelmässig im Basel Briefing fest. Seit April 2023 ist Ina Chefredaktorin und im Wochenkommentar «Bullwinkels Blickwinkel» teilt sie einmal die Woche ihre Meinung zu aktuellen (meist politischen) Themen.

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