Mehr Transparenz? Kein Bedarf.
Mittels Gesuch können Medien und Bevölkerung Einsicht in Dokumente der Verwaltung verlangen. Wird das Gesuch abgelehnt, vermittelt in anderen Kantonen eine Schlichtungsstelle – niederschwellig und kostenlos. In Basel will der Regierungsrat aber keine einführen.
Im Schnitt veröffentlichten Schweizer Medien letztes Jahr über drei Artikel pro Woche, bei denen die Nutzung des Öffentlichkeitsprinzips eine Rolle spielte. Die Zahl ist gemäss Angaben des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Informations- und Datenschutzgesetze (IDG), die der Öffentlichkeit das Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten einräumen, werden genutzt, um Recherchen zu stützen, Behördenentscheide nachzuvollziehen oder Missstände aufzudecken.
Neben dem IDG auf Bundesebene gibt es kantonale Öffentlichkeitsgesetze – so auch in Basel. Wer Einsicht in Dokumente der Verwaltung möchte – egal ob Journalist*in oder Privatperson – kann sich mit einem Zugangsgesuch an die betreffende Stelle wenden. Dann wird das Gesuch geprüft und, wenn keine gewichtigen Argumente dagegen sprechen, erhält der*die Gesuchsteller*in die angefragten Dokumente. Die letzten Zahlen dazu sind von 2023: 50 Zugangsgesuche gingen bei den verschiedenen Departementen ein, 25 davon wurden gutgeheissen. 22 wurden entweder teilweise oder vollständig abgelehnt, drei waren Ende 2023 noch hängig.
In solchen Fällen kann der*die Gesuchsteller*in den Entscheid gerichtlich anfechten. In einigen Kantonen – zum Beispiel Jura oder Solothurn – gibt es zusätzlich die Möglichkeit, vor eine Schlichtungsstelle zu ziehen. Diese vermittelt im Streitfall zwischen der*dem Gesuchsteller*in und der Behörde, und dies ist im Gegensatz zum Weg über ein Gericht kostenlos.
In Basel gibt es diese Möglichkeit nicht. Noch nicht, muss man sagen, denn die Politik könnte das ändern. SP-Grossrätin Christine Keller bat den Regierungsrat in einem Vorstoss, die Einrichtung eines Schlichtungsverfahrens zu prüfen. Mit nur einer Gegenstimme befanden auch die übrigen Grossrät*innen, der Regierungsrat solle sich zu dieser Forderung äussern. Nun liegt die Antwort des Regierungsrats vor – und sie ist abschlägig.
In zwei Vorstössen fordern die SP-Grossrät*innen Beda Baumgartner und Christine Keller den Regierungsrat auf, den Zugang zu Dokumenten der Verwaltung via Öffentlichkeitsgesetz niederschwelliger zu gestalten. Den Anstoss gab eine Bajour-Recherche. Baumgartners Vorstoss liegt jetzt zur Berichterstattung beim Regierungsrat, bei Kellers Vorstoss ist der Grosse Rat noch am Zuge.
Der Regierungsrat hält fest, dass die bisherige Praxis in Basel funktioniere. Der Grosse Rat habe sich bei der Einführung des IDG vor über zehn Jahren «eingehend mit den Vor- und Nachteilen eines gesetzlich geregelten Schlichtungsverfahrens» auseinandergesetzt und sich dagegen entschieden. Ausserdem bestehe heute schon die Möglichkeit einer «fakultativen Schlichtungsmöglichkeit», denn sowohl die kantonale Datenschutzbeauftragte (seit August 2024: Ex-SP-Grossrätin Danielle Kaufmann) als auch die Ombudsstelle (sie vermittelt generell bei Konflikten zwischen Verwaltung und Bevölkerung) könnten bereits heute zur Vermittlung beigezogen werden.
«Ein obligatorisches Schlichtungsverfahren bringt zusätzlichen Aufwand und ist nicht im Sinne einer schlanken Verwaltung.»schreibt der Regierungsrat zum Vorstoss von Christine Keller
Ein weiterer Grund, der aus Sicht des Regierungsrats damals wie heute gegen ein Schlichtungsverfahren sprach beziehungsweise spricht: Der Aufwand. Die Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens würde die Verfahren verlängern – weil man vor einer gerichtlichen Anfechtung zuerst immer in Schlichtung gehen müsste. Das sei «nicht im Sinne einer schlanken Verwaltung».
Ausserdem müsse sich die Verwaltung «von Amtes wegen» ans Legalitätsprinzip halten – das heisst: die Gesetze einhalten. Innerhalb der gesetzlichen Regelungen «besteht kein oder nur ein minimaler Spielraum für einen Vermittlungsversuch», schlussfolgert der Regierungsrat. «Bei einem Grossteil der Fälle wird ein Schlichtungsverfahren also nicht zu einem anderen Ergebnis kommen als die Fallbearbeitung durch die Behörde.»
Pointiert zusammengefasst sagt der Regierungsrat: Schlichtung bringt wenig, ist aufwändig - und vor 10 Jahren hat man sich schon mal dagegen entschieden.
«Die Durchführung von mündlichen Schlichtungssitzungen erweist sich für alle Verfahrensbeteiligten als vorteilhaft.»schreibt der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte in seinem Tätigkeitsbericht 2023/24
Demgegenüber stehen die Zahlen dort, wo es heute ein Schlichtungsverfahren gibt: auf Bundesebene. Durch eine Schlichtung fand man in den Jahren 2018 und 2019 jeweils in über 50 Prozent der Fälle einvernehmliche Lösungen in zuvor von Seiten der Behörden abgewiesenen Gesuchen. 2023 waren es 47 Prozent (die Zahlen aus den Coronajahren 2020–2022 waren zum Teil tiefer, dürften sich aufgrund der Umstände allerdings auch nicht als Vergleichswerte eignen). Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte hält fest: «Die Durchführung von mündlichen Schlichtungssitzungen erweist sich für alle Verfahrensbeteiligten als vorteilhaft.»
Auf kantonaler Ebene macht man ebenfalls gute Erfahrungen mit einer Schlichtungsstelle. Das sagen sowohl der Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch als auch die Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt, Danielle Kaufmann. «Im Kanton Solothurn gehen die meisten Fälle gar nicht erst vor Gericht, weil es eine niederschwelligere Schlichtungsstelle gibt», erklärt Kaufmann, die darin das Argument, Schlichtung führe zu einem Mehraufwand, in Frage gestellt sieht.
«Es ist vertrauensbildend, wenn Medien und die Bevölkerung sich selbst ein Bild über die Arbeit des Staates machen können.»Danielle Kaufmann, Datenschutzbeauftragte Kanton Basel-Stadt
Sie bestätigt, dass sie bereits heute als Datenschutzbeauftragte eine vermittelnde Rolle einnehmen könne. Aber: «Meine Vermittlung ist kein formelles Verfahren.» Das heisst: Sie ist nicht verbindlich geregelt und beruht auf dem Good-will beider Seiten. «So ist das öffentliche Organ am Ende doch etwas am längeren Hebel.»
Es stimme zudem nicht, dass das Legalitätsprinzip kaum Spielraum lasse, ob Einsicht gewährt werden kann oder nicht. «In meiner Erfahrung lohnt es sich, den Spielraum auf Augenhöhe miteinander auszuloten, ob der Staat ein überwiegendes Interesse geltend machen kann und deshalb Dokumente geheimgehalten werden müssen. Oft findet sich im konkreten Fall ein Kompromiss.» Anders gesagt: Es ist auch eine Frage der Auslegung des Gesetzes.Grundsätzlich stehe sie deshalb einer Schlichtungsstelle positiv gegenüber, sagt Kaufmann: «Ich glaube, die Demokratie lebt von Transparenz und Vertrauen – und es ist vertrauensbildend, wenn Medien und die Bevölkerung sich selbst ein Bild über die Arbeit des Staates machen können.»
Auch Jurist*innen unter den Grossrät*innen sind nach wie vor überzeugt von der Idee eines Schlichtungsverfahrens, so zum Beispiel Luca Urgese, Mitunterzeichner der Motion, Jurist und FDP-Grossrat. «Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, das Schlichtungsverfahren direkt beim zuständigen Gericht anzusiedeln, so wie das heute bereits in Zivilsachen der Fall ist. Dort konnten die Gerichte entlastet werden, weil es in vielen Fällen entweder zu einer Einigung kommt oder Kläger erkennen, dass sie mit ihrem Anliegen schlechte Aussichten haben.» Das sei also «durchaus im Sinne einer schlanken Verwaltung».
«Leider ist es mit Blick in die Welt nicht mehr selbstverständlich, dass sich ein Staat an seine eigenen Gesetze hält.»Bruno Lötscher-Steiger, Mitte-Grossrat
Ähnlich sieht das der ehemalige Zivilgerichtspräsident und Mitte-Grossrat Bruno Lötscher-Steiger: «Ich finde es schon fast ein bisschen härzig, wie der Basler Regierungsrat argumentiert, dass die Verwaltung doch ihre Arbeit recht mache und es deshalb kein Schlichtungsverfahren braucht». Dieses Denken, findet er, sei heute überholt: «Je älter ich werde, muss ich sagen: Leider ist es mit Blick in die Welt nicht mehr selbstverständlich, dass sich ein Staat an seine eigenen Gesetze hält.» Ausserdem sei die Verwaltung selber Partei in einem Verfahren, das klären soll, ob sie ihre eigenen Dokumente offenlegen muss oder nicht. «Das macht den Staat aus meiner Sicht anfälliger, restriktiv zu handeln.»
Lötscher-Steiger ist deshalb überzeugt, dass eine Schlichtungsstelle eine vertrauensbildende Massnahme seitens des Staates sein könne. Er stimmt dem Regierungsrat aber in einem Punkt zu: Erst Anfang dieses Jahres ist eine Revision des Informations- und Datenschutzgesetzes in Kraft getreten. Der Regierungsrat will nicht eine neue Revision starten, bevor die Auswirkungen der jüngsten Änderungen erprobt sind. «Vernünftig», findet Lötscher-Steiger diese Überlegung. Trotzdem kommt er zum Schluss, dass viele Gründe für das Festhalten an der Motion Keller sprechen: «Ich wäre überrascht, wenn der Grosse Rat das Anliegen jetzt nicht weiter verfolgen würde.»
Als nächstes muss sich der Rest der Grossrät*innen überlegen, ob sie die Forderung von Christine Keller weiterhin unterstützen.