Keine Toleranzfrage
Die Nicht-Wahl von SVP-Grossrat Beat K. Schaller war ein trauriges Schauspiel. Jemand, der höchster Basler werden will, darf Minderheiten nicht ihre Existenz absprechen. Das hat nichts mit Toleranz, Gendern und Gesinnungspolizei zu tun, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Kann jemand Grossratspräsident für alle sein, der findet, nicht-binär – das gibt es nicht? Dies war eine der Fragen, die sich das Basler Parlament diese Woche bei der Wahl von Beat K. Schaller zum möglichen Statthalter stellen musste. Wäre der SVP-Grossrat gewählt worden, wäre er im Folgejahr Grossratspräsident geworden – so ist es Usus. Grossratpräsident*innen repräsentieren den Grossen Rat «nach innen und aussen», sie repräsentieren das Parlament und damit auch das Basler Stimmvolk.
Die SVP war nach dem Rotationsprinzip an der Reihe, jemanden als Statthalter*in zu nominieren. Die Partei wusste, dass Schaller (bei der Linken) als umstritten gilt und trotzdem – oder gerade deswegen – schickte sie ihn ins Rennen. Quasi ein Himmelfahrtskommando auf Ansage. Es folgten ein Hearing der SP, das die Zweifel nicht zerstreute und dann ein unsägliches Hin und Her im Grossen Rat, bei dem erst im fünften Wahlgang mit relativem Mehr die SVP-Grossrätin Gianna Hablützel-Bürki schaffte. Eine Politikerin, die als rechteste Parlamentarierin Basels gilt.
Die SVP ist nicht happy, die Linke ist es ebenso wenig. Es bleibt ein gedemütigter Kandidat und Knatsch zwischen SVP und den anderen Bürgerlichen – schliesslich hat nicht nur die Linke dem gewünschten Kandidaten die Stimme verweigert, sondern auch einige aus den bürgerlichen Reihen. Schaller hat im Grossen Rat zu oft Grenzen überschritten – offenbar auch aus Sicht vieler bürgerlicher Räte.
Dass die SVP diese Reaktion mit der Auswahl des Kandidaten provoziert hat, ging fast vergessen und in der bald folgenden Gender-Debatte unter.
Übertreibt die Linke, ist sie – laut Kritiker*innen mal wieder – zu ideologisch unterwegs? Warum toleriert sie seine Meinung nicht? Meinung? Das ist exakt der Punkt: Zu sagen, dass es nur zwei Geschlechter gibt, ist keine Meinung. Das ist der bewusste Ausschluss von Menschen und ihrer Identität. Das ist diskriminierend. Zu behaupten, man könne mit diesem Weltbild für alle da sein und alle repräsentieren ist unglaubwürdig. Dafür hat die Mehrheit des Basler Parlaments diese Woche zu Recht keine Toleranz gezeigt. Im Jahr 2025 darf man erwarten, dass nicht-binäre Personen toleriert werden und ihre Identität anerkannt wird. Besonders von jemandem, der höchster Basler werden will.
Die SVP bewirtschaftet routiniert das Narrativ der «Gesinnungspolizei», dank der man gewisse Dinge nicht mehr sagen dürfe. Durch die Ablehnung von Schallers Kandidatur bekam die «Toleranzpartei» eine Steilvorlage, um sich in die Opferrolle zu flüchten. Wie praktisch zu sagen, die Linke sei schuld am chaotischen Wahlvorgang. Dass die SVP diese Reaktion mit der Auswahl des Kandidaten provoziert hat, ging fast vergessen und in der bald folgenden Gender-Debatte unter.
Das Für und Wider das Gendern, über das man trefflich streiten kann, am Schluss in einem Atemzug mit dem Absprechen der Existenz von nicht-binären Menschen genannt wird, ist der grösste Erfolg der SVP und zeigt, wie ihr die Linke immer wieder in die rhetorische Falle tappt.
Wer Menschen die Existenz abspricht, hat selbst keine Toleranz verdient und vor allem: keinen Grund zu behaupten, er würde für alle Menschen sprechen können.
Es rächt sich, dass bei jedem sprachlichen Verstoss gegen die politische Korrektheit eine Zero-Toleranz-Politik angemahnt wird. Man kann bewusst gegen das Gendern oder geschlechtergerechtes Formulieren sein. Das ist eine legitime Meinung, die man tolerieren muss. Für linke Akademiker*innen und andere gehört es vielleicht zum guten Ton, tolerante und inklusive Sprache zu verwenden. Wer damit nichts anfangen kann, oder den Duktus nicht beherrscht, fühlt sich schnell mal ausgegrenzt oder unerwünscht, während die rechten Parteien «Genderwahn» rufen und die Ausgegrenzten bei sich herzlich willkommen heissen.
So hat die Linke ihre frühere Klientel der wenig privilegierten Unterschicht reihenweise vertrieben. In einer liberalen Gesellschaft kommt es aber darauf an, alle nach ihrer Facon leben zu lassen. Aus links-akademischer Sicht auch die, die sich nicht in jedem Satz politisch absolut korrekt ausdrücken.
Was aber überhaupt nichts mit Toleranz zu tun hat, ist die Frage, ob es non-binäre Menschen überhaupt gibt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wer Menschen die Existenz abspricht, hat selbst keine Toleranz verdient und vor allem: keinen Grund zu behaupten, er würde für alle Menschen sprechen können.