Die Möchtegern-Velostadt
Bald müssen die Basler Stimmberechtigten über Velovorzugsrouten abstimmen. Wer diese Idee für radikal hält, sollte sich echte Velo-Städte im Ausland anschauen – und von ihnen lernen. Etwa wie man trotz Parkplatzabbau das Gewerbe mitnimmt. Ein Kommentar von Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Will Basel eine Velostadt sein? Diese Frage müssen die Stimmberechtigten beantworten. Also zumindest, ob Basel diesem Titel näher kommen soll. Eine Initiative fordert ein lückenloses Netz aus 50 Kilometern neuer Velowege, umgesetzt innerhalb von zehn Jahren. Der Gegenvorschlag sieht 40 Kilometer vor.
Die Politiker*innen im Grossen Rat haben sich diese Woche gestritten, wohin die Velo-Reise gehen soll. Und während die Linke, inklusive GLP, klar Team Drahtesel ist, gehen den Bürgerlichen – auch angesichts eines drohenden Parkplatzabbaus – sowohl die Initiative als auch der Gegenvorschlag zu weit. Wie viel mehr Velo auf Kosten des Autos ist verkraftbar, was ist zu viel?
Am Ende könnte ein schlichter Velostreifen am Strassenrand als Velovorzugsroute herhalten – das ist nichts Revolutionäres.
Vielleicht schauen wir uns erst einmal an, was hinter diesen sogenannten Velovorzugsrouten steckt. Wer dabei an eine dominant durch das Strassennetz ziehende Velobahn denkt, womöglich auf riesigen Stelzen – Fehlanzeige. Normale Strassen sollen lediglich durch mehr Platz und klare Verkehrsführung sicherer für Velos werden. Während die Initiative 2,4-Meter-breite Velowege durch jedes Quartier fordert, lehnt der Gegenvorschlag eine genau vorgegebene Breite der Route ab. Am Ende könnte also ein schlichter Velostreifen am Strassenrand als Velovorzugsroute herhalten. Nichts Revolutionäres, das hier umgesetzt wird.
Bei unserer Frage des Tages zum Thema kommentierte ein Leser: «Falls mit ‹Velovorzugsrouten› solche Alibi-Übungen wie z. B. auf dem Bernerring gemeint sind, dann kann man sich das Geld sparen. De facto sind dies ja einfach Vorfahrtsstrassen, für Velo und Auto gleichermassen. Nur ‹Velostrasse› auf den Boden zu pinseln, während die Strasse gleichzeitig auf beiden Seiten mit Autoparkplätzen gesäumt ist und der MIV sich einer neuen ‹Hauptstrasse› mit Vorfahrtsrecht erfreuen darf, das reicht nicht. Es braucht getrennte Routen.» Er trifft den Nagel auf den Kopf.
Wer sich in Basel gegen Quartierparkings wehrt, wehrt sich gegen eine Umnutzung der Allmend.
Städte wie Oslo, Kopenhagen, Helsinki oder Utrecht zeigen, wie es gehen kann. Hier gibt es echte Velostrassen nur für Velos, genügend Abstand zur Autospur und eine gewollte Verdrängung des Autos. In Oslo wurden die Gebühren fürs Parken massiv erhöht und mehr als 700 öffentliche Parkplätze im Zentrum abgeschafft, Stellplätze in Parkhäusern (mehrere Tausend) blieben allerdings erhalten. Die aufgehobenen Parkplätze wurden zum Teil umgewandelt – es gibt in der norwegischen Hauptstadt heute z. B. viel mehr oberirdische Parkplätze für Menschen mit Behinderung als früher.
Zudem wurde ein zuvor bestehendes Park-Limit fürs Gewerbe aufgehoben, gewerbliche Fahrzeuge dürfen jetzt länger abgestellt werden. Das Gewerbe, das in Basel den Abbau von Parkplätzen so fürchtet, wie die SVP das Cargovelo, wurde in Oslo bei der Planung einbezogen und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt. Und daraus lässt sich eine Regel ableiten, wenn man wirklich vorwärts kommen will in der Verkehrsplanung und sich die Mobile nicht länger (ideologisch) gegenseitig ausbremsen sollen: Wer aus Basel eine Velo-Stadt machen will, muss diejenigen berücksichtigen, die nicht aufs Auto verzichten können.
Oslos Strategie zeigt auch: Wer sich in Basel gegen Quartierparkings wehrt, wehrt sich gegen eine Umnutzung der Allmend. Der Platz ist da, er muss nur richtig genutzt werden.
Es braucht ein dezentrales Park&Ride, damit die Pendler*innen schon am Stadtrand auf den ÖV umsteigen und gar nicht erst auf die Idee kommen, auf vier Rädern in die City zu fahren.
Und wer meint, der Ausbau der Velowege in Basel mit gleichzeitigem Parkplatzabbau sei radikal, sollte vielleicht mal zur japanischen Millionenmetropole Tokio schauen. Von 100 Bewohner*innen besitzen noch 22 einen Pkw (in Basel sind es 32 von 100). Um dort ein Auto anmelden zu können, müssen Tokioter*innen beweisen, dass sie in ihrem Quartier einen festen Parkplatz für ihr Fahrzeug haben – das ist bereits seit den 60er-Jahren so, damals begründet durch die hohe Luftverschmutzung. Als Beifang der Massnahme ist sowohl die Anzahl Autos in der Stadt überschaubar geworden als auch die Zahl der Verkehrstoten.
Solch eine Massnahme kann man als erzieherisch empfinden, doch in Basel ist ohne eine Reduktion des motorisierten Autoverkehrs der erklärte Volkswille – Nettonull bis 2037 – nicht zu erreichen. Also müssen das Velofahren und der ÖV noch attraktiver werden. Es braucht ein dezentrales Park&Ride, damit die Agglo-Pendler*innen schon am Stadtrand auf einen schnellen, gut angebundenen ÖV umsteigen und gar nicht erst auf die Idee kommen, auf vier Rädern in die City zu fahren. Velo und Auto sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern zusammengedacht werden. Dann klappt es vielleicht auch mit der Velo-Stadt.