«Zu meinen, es brauche keine Polizei, finde ich naiv»

Oliver Bolliger (Basta) will in die Basler Regierung und eine linke Mehrheit möglich machen. Im Interview erklärt er, weshalb seine postkapitalistische Haltung kein Widerspruch ist, um in der Pharmastadt Basel Exekutivpolitik zu machen, warum der Wohnschutz ein Erfolg ist und wieso er auch ein guter Polizeidirektor wäre.

Oliver Bolliger, 10. September 2024
Eine linke Mehrheit in der Regierung ist das Ziel von Basta-Kandidat Oliver Bolliger. (Bild: Ernst Field)

Oliver Bolliger, wie links sind Sie auf einer Skala von 1 bis 10 (wobei 1 rechts und 10 links ist)?

Ich würde sagen, ich bin über die Jahre von einer 10 zu einer 8 gewandert. Ich war als junger Mann in der Sozialistischen Arbeiterpartei, da war ich durchaus kommunistisch, trotzkistisch unterwegs. Aber heute bin ich überzeugt, dass es auch andere Wege als eine Revolution gibt, um eine gerechte Gesellschaft hinzubekommen.

Die Basta bezeichnet sich als «radikal menschlich». Warum braucht es eine radikale Stimme in der Regierung?

Dieser Slogan bedeutet, dass wir von Basta radikal den Menschen ins Zentrum stellen. Eine solche Politik würde durch eine linke Mehrheit in der Regierung gestärkt. Das sind oft Detailfragen, aber es ist durchaus relevant, mit welchem Tempo und wie sozialverträglich zum Beispiel Klimamassnahmen umgesetzt werden.

Wenn es nur um eine linke Mehrheit geht, dann kann man also genauso gut die Grünen-Kandidatin Anina Ineichen wählen?

Wir teilen vieles. Uns unterscheidet aber, dass ich und die Basta das Wohl der Menschen in der Stadt – egal, woher sie kommen – konsequenter über die Profitlogik stellen.

Die Basta muss doch vor allem aufpassen, dass sie die Fraktionsstärke im Grossen Rat nicht verliert. Sind diese Wahlen ein Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit Ihrer Partei?

Es sind sicher entscheidende Wahlen. Es ist das erste Mal, dass die Basta allein in den Grossen Rat gewählt werden kann, was herausfordernd wird. Aber ich glaube nicht, dass wir einen Sitz verlieren. Wir gehen davon aus, dass wir zwei Sitze dazugewinnen können. Und selbst wenn: Die GLP hatte vor acht Jahren auch keine Fraktionsstärke. Bedeutungslos wird man deswegen nicht.

Hat die Basta ohne das Bündnis mit den Grünen und ohne Sibel Arslan als Zugpferd überhaupt eine Chance?

Klar hat Sibel Arslan einen Zug. Sie hat sich aber dazu entschieden, sich vorerst auf ihr Amt im Nationalrat zu konzentrieren. Ich finde, es gelingt uns zurzeit gut, die notwendige Aufmerksamkeit für unseren Wahlkampf zu generieren. 

Warum sind Sie als heterosexueller Cis-Mann die richtige Wahl für eine Partei, die ein queerfeministisches Klientel ansprechen will?

Die Partei hat einen feministischen Ursprung und wird seit der Gründung immer durch Frauen vertreten. Das schliesst aber nicht aus, auch mal einen linken weissen Mann ohne Haare in den Regierungswahlkampf zu schicken (lacht). Das ist ja kein Widerspruch: Ich setze mich stark für feministische und queere Anliegen ein. Und unsere Liste zeigt die wahrscheinlich grösste Diversität aller Parteien.

Oliver Bolliger, 10. September 2024
Zur Person

Der 53-Jährige wuchs in Kleinhüningen und an der Feldbergstrasse in bescheidenen Verhältnissen auf. Er wurde Sozialarbeiter und arbeitete 20 Jahre im Suchtbereich. Seit Anfang 2023 ist der Vater von drei Töchtern als Geschäftsleiter der Stiftung Wohnen für die Obdachlosenhilfe tätig.

Der ehemalige Hausbesetzer wurde politisch durch Umweltkatastrophen und die Subkulturen in seiner Jugend geprägt. Er war in der Sozialistischen Arbeiter*innenpartei aktiv und setzte sich schon in den 90ern für ein Ausländer*innenstimmrecht ein. Auf eine politische Pause folgte die Karriere bei der Basta: 2017 rückte er für die alt-Nationalrätin Anita Lachenmeier in den Grossen Rat nach. Heute präsidiert er die Gesundheits- und Sozialkommission.

Welches Departement würde Sie am meisten reizen?

Ich traue mir alle zu. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen und meiner politischen Arbeit sind das Gesundheits- sowie das Wirtschafts- und Sozialdepartement am naheliegendsten. Ich fände aber auch das Polizeidepartement spannend.

Interessant: Als Ihre Parteikollegin Heidi Mück 2020 für den Regierungsrat kandidierte, sagte sie zu Bajour, im Polizeidepartement wäre sie komplett überfordert. Sie haben am Wahlpodium von SRF/Telebasel gesagt, es sei unverhältnismässig, dass die Polizei manchmal zu zehnt aus dem Kastenwagen springt. 

Es kommt natürlich auf den Einsatz an. Vielleicht kann es sehr wohl verhältnismässig sein, wenn es der Situation entspricht. Ich frage mich einfach, ob es zehn Polizist*innen bei einem normalen Patrouillengang auf der Dreirosen braucht.

Also im Rahmen der Schwerpunktaktion Unteres Kleinbasel, die vorerst beendet ist.

Genau. Oder die Kontrollen am Bahnhof. Da stehen plötzlich acht Polizist*innen und eine Person wird kontrolliert. Aber diese Fragen muss sich auch die Polizei selber stellen: Wie wirkt das auf die Bevölkerung? Weil sie ein Gewaltmonopol hat, muss sie damit sensibel umgehen. 

Sind Sie als ehemaliger Hausbesetzer auch schon mal mit der Polizei aneinandergeraten?

Ja, früher. Aber nicht bei einer Hausbesetzung, sondern an Demonstrationen.

Aber trotzdem haben Sie ein gutes Verhältnis? 

Die Polizei hat eine wichtige Aufgabe in einer Demokratie, auch zur Sicherstellung der Demokratie. Zu meinen, es brauche keine Polizei, finde ich naiv. Ich habe noch immer das Gefühl, dass wir eine Polizei haben, die demokratisch kontrollierbar ist. Wenn das nicht wäre, wäre es hochproblematisch.

Der Schefer-Bericht hat schwere Missstände bei der Kantonspolizei offengelegt. Wie würden Sie das Problem angehen wollen? Mehr Geld, wie die Bürgerlichen es fordern, um den Unterbestand in den Griff zu bekommen?

Ich habe damals den Vorstoss überwiesen, damit der Einstiegslohn erhöht wird. Geld ist aber nur eine Sache. Es braucht auch dringend einen Kulturwandel, denn derzeit herrscht ein Angstklima. Auch die Wochenendplanungen für die Polizist*innen sind eine Katastrophe. Der Polizeijob in Verbindung mit der Familie ist eigentlich fast unmöglich. Man kann die Arbeitsbedingungen verbessern. Und es stellt sich die Frage, wie viele Einsätze geleistet werden müssen, um die Sicherheit zu gewährleisten. 

Stephanie Eymann hat als Konsequenz des Berichts Köpfe rollen lassen und eine externe Beschwerdestelle angekündigt.

Dass jetzt wie bei einem Fussballteam der Trainer ausgewechselt wird, weil es nicht läuft, reicht nicht. Die Rolle der Leitungspositionen muss überdacht werden und bei der Kultur im Korps muss genauer hingeschaut werden. Die bisher angekündigten Massnahmen, wie die externe Beschwerdestelle, wurden von Basta ja bereits seit längerem gefordert, fanden im Parlament aber keine Mehrheit. 

Oliver Bolliger, 10. September 2024
«Für Bürokratieabbau bin ich immer ein bisschen zu haben.»
Oliver Bolliger, Basta-Regierungskandidat

Ihr Wahlkampfslogan ist «Olli für alle» – gilt das auch für die Reichen?

Ja, die dürfen mich auch wählen (lacht).

Und Sie machen auch etwas für die Reichen?

Eine gleichberechtigte und sozial gerechte Gesellschaft ermöglicht auch Personen mit viel Geld Stabilität, Sicherheit und ein angenehmes Leben.

Ihre sozialpolitische Haltung ist stark durch Ihre familiären Erfahrungen geprägt. Wie haben Sie das Sozialsystem bisher erlebt? Finden Sie die amtlichen Hürden zu hoch?

Die verschiedenen Sozialversicherungssysteme machen es den Menschen schwer, den Durchblick zu behalten. Unter dem Subsidaritätsprinzip werden Leute hin und her geschoben. Wenn ein Mensch in Not ist, darf es nicht um Zuständigkeiten gehen. 

Also braucht es eine zentrale Anlaufstelle?

Ja, weil es nicht relevant ist, aus welchem Grund ich gerade in sozialer Not bin. Sei es ein Unfall, sei es eine Krankheit oder Mutterschaft. Es braucht ein Einkommen, mit dem man über die Runden kommt. Oft aber ist es ein riesiger bürokratischer Aufwand, das alles zu managen. 

Was tun? Bürokratie abbauen?

Für Bürokratieabbau bin ich immer ein bisschen zu haben.

Finden Sie sich dort mit den Bürgerlichen?

Ich glaube, die Bürgerlichen behaupten lediglich, dass sie Bürokratie abbauen wollen. Es ist quasi ihr Wahlslogan. Aber ich frage mich, ob sie damit nicht eher meinen: Hilfestellungen und öffentliche Dienstleistungen abbauen. 

Sie wollen strukturelle Probleme lösen und eine gerechtere Welt schaffen. Könnten Sie diese Werte auch in einem Amt als Regierungsrat vertreten?

Ich habe diese innere Haltung. Ich weiss aber auch, dass in einem Siebnergremium nicht alle gleich ticken, da würde ich sicher die radikalste Haltung bei einzelnen Fragen haben. Und dann muss ich schauen, welche Kompromisse ich machen kann.

Sie denken stark über die Umverteilung des Geldes nach, aber überlegen Sie sich auch, wie man das Geld erwirtschaften kann? Investor*innen überzeugt giftige Antikapitalismus-Rhetorik kaum.

Das ist so. Ich weiss nicht, ob ich giftige Antikapitalismus-Rhetorik betreibe, aber ich habe eine antikapitalistische Haltung, ich kann mir eine anders funktionierende Welt vorstellen. Momentan leben wir aber in diesen Widersprüchen. Also müssen wir schauen, was die Bedingungen sind für unsere Firmen. Die Standortfaktoren von Basel sind gut. 

Aber was würden Sie machen wollen, damit die Standortattraktivität auch gut bleibt?

Ich würde auf die unternehmerischen Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Aber für mich reichen hohe Profitraten nicht, damit man zufrieden ist. Die wirtschaftlichen Bedürfnisse dürfen zum Beispiel den Klimazielen nicht übergeordnet werden. 

Wo würden Sie ansetzen, um attraktive Bedingungen für Firmen in Basel zu schaffen?  

Gute Arbeitsbedingungen sind wichtig, auch ein guter ÖV oder eine soziale Infrastruktur – für uns alle, aber auch für Firmen. Ich kann mir vorstellen, einzelne innovative Start-ups beispielsweise bei der Antibiotikaresistenz-Entwicklung zu unterstützen. Wichtig ist mir aber, dass die Wertschöpfung nicht nur ins Private geht.

Der Wohnschutz steht unter Druck. Bürgerliche in der Regierung und im Grossen Rat wollen ihn mit Hilfe der GLP wohl erstmal lockern. Was ist jetzt der nächste Schachzug von links? Denken Sie auch an eine Initiative, wie Beat Leuthardt vom Mieter*innenverband? 

Ich persönlich hätte nicht den Impuls gehabt, nochmal eine Initiative zu lancieren. Ich würde erstmal schauen, was jetzt für Lockerungen präsentiert werden. Wobei ich die Brisanz nicht sehe; der Wohnschutz funktioniert gut. Es ist keine Katastrophe, nur weil ein Investor nicht seine Maximalrendite abschöpfen kann.

Es ist ja nicht nur ein Investor. Um die Brisanz zu sehen, kann man ja fast täglich die Zeitungen aufschlagen. Zum Beispiel die Baloise, die gesagt hat, sie werde jetzt nicht mehr sanieren, solange es den Wohnschutz gibt. 

Der politische Druck ist gross und da spielen Machtfaktoren eine Rolle. Es ist natürlich etwas anderes, wenn die Baloise etwas sagt, als wenn die Stiftung Wohnhilfe etwas sagt. Darauf reagieren die Medien, aber auch die Politik. Die Frage ist, was machen sie mit dem Geld? Die Baloise könnte auch einen Beitrag an die soziale Infrastruktur leisten, an die Stadt, ans bezahlbare Wohnen. Wir brauchen nicht überall die Rendite, die wir früher hatten.

Oliver Bolliger, 10. September 2024
Mit der Stiftung Wohnhilfe setzt sich Bolliger für Menschen ein, die ohne Hilfe auf dem freien Markt keine Wohnung finden würden. (Bild: Ernst Field)

Wo konkret würde Sie als Bürokratieabbauer  im Baubereich ansetzen?

Das Bewilligungswesen ist ein Hin- und Hergeschiebe, das hat GLP-Baudirektorin Esther Keller kürzlich selbst eingeräumt. Es braucht auch hier eine zentrale Stelle für die Personen, die ein Baugesuch eingeben. Aber ich glaube, eine gewisse Bürokratie wird es geben müssen, sonst haben wir kompletten Wildwuchs. Vielleicht braucht es auch eine gewisse Haltungsänderung in der Verwaltung, und mehr Dienstleistungsgedanken.

Ein Erfolg, den Sie gelandet haben, war das Stadthotel mit kurzfristiger Wohnmöglichkeit für Obdachlose. Braucht es das überhaupt noch? Jetzt, da es Housing First Plus geben soll?

Ja, ich finde schon. Die Frage ist, ob es im Housing First Plus aufgehen könnte. Es braucht ein niederschwelliges Wohnen für Obdachlose, die nicht unbedingt in eine ambulante Wohnbegleitung wollen. Ein Hotel wäre am einfachsten umzusetzen, allein von den Rahmenbedingungen her. Bis jetzt haben wir noch keine Liegenschaft, die Regierung ist am Suchen. 

Erst kürzlich hat es im Neubad einen Aufschrei gegeben wegen des Hotels Balegra, in das unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) einziehen sollen. Können Sie das nachvollziehen? 

Die menschliche Reaktion kann ich nachvollziehen. Aber die politische Reaktion nicht. Die SVP spielt die Angst-Karte, wonach eine Unterkunft für minderjährige Geflüchtete nicht in einem Wohnquartier funktionieren könne. Wieso soll das nur im Kleinbasel funktionieren und nicht im Neubad? Wir hatten auch eine Anlaufstelle für Süchtige in der Spitalstrasse. Oder bei der Kuppel.

Die UMA sind ja nur begrenzt im Hotel Balegra. Wäre nicht das Hotel Balegra prädestiniert für Ihr Stadthotel?

Das könnte man gut machen. Wenn man die Liegenschaft nicht mehr für die jugendlichen Geflüchteten braucht und noch kein Stadthotel gefunden hat, kann ich mir das vom Standort her sehr gut vorstellen. 

Oliver Bolliger, 10. September 2024
«Meine Utopien werde ich in der Regierung nicht eins zu eins umsetzen können, so naiv bin ich nicht.»
Oliver Bolliger, Basta-Regierungskandidat

Sie sind vor bald 40 Jahren politisiert worden, angesichts von Umweltkatastrophen wie Tschernobyl und Schweizerhalle. Macht die Klimapolitik Sie seither hoffnungsvoll oder sind Sie resigniert? 

Manchmal bin ich schon resigniert. Die Dramatik der Lage ist eine Wiederholung, wobei es immer extremer wird. Wie zum Beispiel aktuell die verheerenden Hochwasser in Osteuropa. Die Klimakrise ist ein Fakt, sie geht auch nicht mehr weg. Man stellt sich schon auf einzelne Adaptionsmassnahmen ein und versucht dann, irgendwie über die Runde zu kommen. Da ich aber überzeugt bin, dass wir wirklichen Wandel nur mit einem anderen Wirtschaftssystem und einer anderen Wirtschaftslogik hinkriegen, ist es eine tägliche Herausforderung, nicht zu resignieren. 

Dann können wir uns die Bemühungen bis 2037 gleich sparen?

Nein, im Gegenteil. Wir als Stadt Basel müssen ein Teil sein von einem positiven Impact, dass man Klima-Massnahmen umsetzen und eine andere Wirtschaftslogik aufbauen kann.

Stimmt, Sie stehen ja nicht so auf grünes Wirtschaftswachstum, sondern eher auf Ökosozialismus. Was verstehen Sie genau darunter? 

Ich sage nicht, grünes Wirtschaftswachstum sei völlig falsch. Aber es reicht nicht, wenn einfach alle auf E-Autos umsteigen. Es braucht weniger Verkehr, eine viel regionalere Ausrichtung des ganzen Welthandels. Das ist der Ausdruck des Ökosozialismus, man muss Wirtschaft anders denken, ausserhalb der Wachstumslogik. Sonst werden wir die Natur immer ausbeuten müssen, auch für sogenannt grünes Wirtschaftswachstum. 

Eine postkapitalistische Gesellschaft wird es bis 2037 wahrscheinlich noch nicht geben. Als Regierungsrat müssen Sie die Firmen und Wirtschaft aber im Boot haben. Wie wollen Sie das machen? 

Nochmals: Meine Utopien, meine Werte lasse ich in meine Arbeit einfliessen. Aber ich werde sie nicht eins zu eins umsetzen können in der Regierung, so naiv bin ich nicht. Für mich sind es meine Werte, die mich politisch leiten.

Um die Ziele zu erreichen, braucht es viel Geld. Woher soll das denn kommen? Aus dem Klimafonds, wie von Anina Ineichen vorgeschlagen?

Ja, den Vorstoss habe ich unterstützt. Wir werden weiterhin Überschüsse machen aufgrund der OECD-Steuerreform. 

Im Gegenteil: Für 2025 hat SP-Finanzdirektorin Tanja Soland gerade – wegen des ESC – ein Defizit angekündigt. Und die OECD-Einnahmen bescheren keine Überschüsse, sondern werden in die Standortattraktivität fliessen.

Die OECD-Steuer ist eine gerechte Steuer, dieses Geld soll man nicht einfach den Firmen zurückgeben. Sie profitieren von den guten Standortbedingungen in Basel, mitten in Europa. Also soll ein Teil von diesen Geldern auch fürs Klima verwendet werden. 

Oliver Bolliger Interview, 10.09.2024
«Der Rheintunnel ist ein völlig antiquiertes Projekt. Wir brauchen eine andere Logik des Verkehrs.»
Oliver Bolliger, Basta-Regierungskandidat

Es wird Ihnen sicherlich auch wichtig sein, dass Klimapolitik sozial verträglich ist. Wie wollen Sie das erreichen?

Bei jeder Massnahme muss man prüfen, welchen Impact es für Personen mit wenig Geld gibt. Man muss die Menschen mitnehmen und allenfalls Ausgleichszahlungen machen, wenn man auf eine Massnahme nicht verzichten kann. 

Ihre Partei fordert: «Gratis ÖV statt Rheintunnel». Warum sind Sie dagegen, dass der Verkehr in Basel unter die Erde verlegt wird und Quartiere vom Lärm entlastet werden sollen?

Ich bin nicht dagegen, dass Quartiere vom Lärm entlastet werden (lacht). Dass man den Verkehr unterirdisch hat, finde ich auch nicht per se falsch. Aber ich glaube, dass der Rheintunnel ein völlig antiquiertes Projekt ist. Es gibt keine Verschiebung des Verkehrs in den Boden, sondern es wird zusätzlich zur oberirdischen Autobahn noch ein Tunnel gebaut. Was wir heute brauchen, ist weniger Autoverkehr, eine andere Logik des Verkehrs mit sicheren Strassen für den Velo- und Fussverkehr.

Die Prognosen sagen aber, dass der Verkehr zunehmen wird.

Eben, in dieser Logik des Wachstums. Es ist immer die Frage, in welcher Logik man denkt. Der Autoverkehr muss nicht zwingend immer zunehmen, die Verkehrsentwicklung basiert auf unseren Entscheidungen. Ein gut ausgebauter und bezahlbarer oder gratis ÖV könnte diese Logik brechen. 

Aber wenn man der Logik folgt, die jetzt nun mal vorherrschend ist, dann wird der Verkehr zunehmen. Ist Ihnen der Erhalt der Dreirosenanlage wichtiger als der Verkehrskollaps?

Die Dreirosenanlage ist mir sehr wichtig. Hier leben Menschen, die nicht für 10 Jahre eine Baustelle haben wollen. Ob der Verkehrskollaps kommt, nur weil wir keinen Rheintunnel bauen, stelle ich in Frage.

Ein grosses ÖV-Alternativprojekt zum Rheintunnel ist ja auf dem Tisch: Warum setzen Sie sich eigentlich nicht vehementer ein, das Herzstück zu pushen?

Ich bin nicht überzeugt von diesem Projekt, das zehn Minuten Gewinn zwischen den Bahnhöfen bringen soll. Es ist ein riesiges Infrastrukturprojekt, es wird viele Baustellen geben, was auch nicht gut fürs Klima ist. Die Idee, wir müssten Mehrverkehr managen, unterstütze ich nicht, es braucht ein radikales Umdenken. 

Oliver Bolliger, 10. September 2024
Sandoz verstaatlichen? Oliver Bolliger überlegt, wie man den Pharmastandort Basel gemeinnütziger gestalten könnte. (Bild: Ernst Field)

Sie wollen mit Ihrer Initiative «Pharma für alle» 70 Millionen Franken Steuereinnahmen jährlich in einen Fonds fliessen lassen, um gemeinnützige Medikamentenversorgung zu fördern. Ist das vor allem ein PR-Stunt gewesen, um Ihre Regierungskampagne zu lancieren?

Nein (lacht). Die Gruppe Pharma für alle gibt es schon länger. Wir wollten ja auch die Sandoz für einen Franken kaufen. Damit sprechen wir wichtige Probleme in der Medikamentenversorgung und -forschung an. 

Die Idee kam… nicht gerade gut an.

Ich finde das immer noch eine gute Idee: Man könnte Sandoz verstaatlichen. Die Schweiz könnte sich das leisten – und so die Medikamentenversorgung und Antibiotikaforschung sicherstellen. Es geht darum, die Gesundheitsversorgung mit den wichtigen, notwendigen Medikamenten sicherzustellen und die Antibiotika-Resistenzen zu fördern.

Sie sagen, die Gesundheitsversorgung müsse regionaler geplant werden. Wieso ist eine gemeinsame Gesundheitsregion für Basel wichtig?

Es ist der politische Wille, das Basler Stimmvolk hat sich 2019 klar für eine gemeinsame Gesundheitsregion ausgesprochen. Aber man kommt nicht voran. Man hat zwar die Spitallisten, aber that’s it. Dabei sollten sowohl die Eigner*innen der Spitäler als auch die Kantone gemeinsam planen und überlegen, welche Versorgung es braucht. Denn: Konkurrenz führt zu Doppelstrukturen. 

Heisst Doppelspurigkeit abbauen, auch Spitäler schliessen?

Ich kann mir vorstellen, dass es Spitäler gibt, die in einer anderen Planung aufgehen könnten. Da würde ich mich nicht völlig verschliessen. Was ich nicht gut fände, ist, dass man Spitäler schliesst, weil sie nicht rentieren. Die soziale Infrastruktur muss funktionieren. 

Oliver Bolliger, Basta-Regierungskandidat, 10.09.2024
«Man muss in dieser Welt mit Widersprüchen leben. Und seine Ideale auch im Exekutivamt nicht völlig vergessen.»
Oliver Bolliger, Basta-Regierungskandidat

Kommen wir so langsam zum Schluss. Können Sie mit Ihrer aktuellen Arbeit als Geschäftsleiter von der Stiftung Wohnhilfe nicht eigentlich mehr Leute helfen, als es als Regierungsrat möglich wäre?

Das fragen mich viele. Die Arbeit der Stiftung Wohnhilfe ist mir sehr wichtig. Als Regierungsrat könnte ich die politischen Voraussetzungen mitgestalten und sehr viel mehr Menschen den Zugang zu Unterstützung vereinfachen. 

Aber würde Ihnen der direkte Impact Ihrer Arbeit nicht fehlen?

Wer weiss, vielleicht schon (lacht). Aber nach sieben Jahren als Grossrat und drei Jahren als Präsident der Gesundheits- und Sozialkommission reizt mich das Exekutivamt.

Wenn Sie diesen Satz zu Ihrem 20-jährigen Ich, das in einem besetzten Haus lebt, sagen würden was würde der sagen? 

Kann ich zwei Antworten geben? 

Ja, klar.

Der eine würde sagen: Das ist der Marsch durch die Institution, das hat schon angefangen mit dem Grossrat, und jetzt folgt logischerweise das Exekutivamt. Er würde es also nicht für gut befinden. Und die andere Person würde sagen, dass es auch wichtig ist, dass in Exekutivämtern oder im Parlament Menschen sind, die sich noch eine andere Welt vorstellen können. Heute finde ich: Man muss in dieser Welt mit Widersprüchen leben. Und einen guten Weg finden, auch in einem Exekutivamt seine eigenen Ideale nicht völlig zu vergessen.

Was denken Sie jetzt über Ihren Auftritt im SRF als 18-Jähriger, als Sie kritisierten, dass die Regierung mit Kieselsteinen die Skateboarder*innen vom Theaterplatz vergraulen wollte?

Ich habe viele Haare verloren (lacht).  Und auch heute lohnt es sich noch, sich für Freiräume einzusetzen. 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bolliger.

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

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