Hopp, Demokratie

Der Grosse Rat hat am Donnerstag einem Vorstoss zugestimmt, der die Einführung eines Schlichtungsverfahrens im Öffentlichkeitsgesetz fordert. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie. Ein Kommentar.

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Der Regierungsrat muss nach dem Grossratsentscheid innert 2 Jahren einen Gesetzesentwurf vorlegen. (Bild: Michael Fritschi / Ernst Field, Collage: Bajour)

In Zeiten, in denen wir per Liveticker dem Bröckeln bis Abreissen von demokratischen Grundfesten zuschauen können, ist die Stärkung ihrer Prinzipien unser aller Aufgabe. Dass die Mehrheit des Grossen Rates Basel-Stadt dies verstanden hat, zeigt sich im am Donnerstag gefällten Entscheid zur Einführung eines Schlichtungsverfahrens im kantonalen Öffentlichkeitsgesetz (Informations- und Datenschutzgesetz, kurz: IDG). 

Das Ziel dieses Gesetzes ist nichts Minderes, als Vertrauen zu schaffen und Mitwirkung zu ermöglichen. Jeden Tag schicken tausende Kantonsangestellte Mails hin und her, verfassen Protokolle und Berichte, werten Daten aus, wägen Handlungsmöglichkeiten ab, beraten und treffen Entscheide – zum Wohle der Bevölkerung. Und auf ihre Kosten. Mitspracherecht hat die Öffentlichkeit durch politische Instrumente wie Petitionen und Initiativen, aber auch durch die gewählten Vertreter*innen im Parlament. Und trotzdem: Gerade die Prozesse hinter den Entscheiden sind von aussen nicht immer nachvollziehbar. Hier setzt das IDG an. Es verpflichtet den Staat, der Öffentlichkeit Behördendokumente zugänglich zu machen – mit gewichtigen (und gerechtfertigten) Ausnahmen.

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Wie Regierungsrat Conradin Cramer in der Grossratsdebatte am Donnerstag zu Recht angemerkt hat, gibt es legitime Gründe – zum Beispiel Persönlichkeitsrechte – weshalb ein Dokument in verschlossenen (heute oft digitalen) Schubladen bleiben soll. Weil diese Fälle gesetzlich geregelt sind, gebe es eigentlich keinen Spielraum für eine Schlichtung, argumentierte der Regierungsrat. Dass der Bund und andere Kantone heute schon gute Erfahrungen mit einem Schlichtungsverfahren machen, liess der Regierungsrat in seiner Abwehrhaltung offenbar ausser Betracht. 

Dabei widersprach dieser Argumentation in der Grossratssitzung nicht nur die Motionärin und Juristin Christine Keller (SP), sondern vor einigen Wochen auch die kantonseigene Datenschutzbeauftragte (und ehemalige SP-Grossrätin) Danielle Kaufmann. Sie sagte zu Bajour: «In meiner Erfahrung lohnt es sich, den Spielraum auf Augenhöhe miteinander auszuloten, ob der Staat ein überwiegendes Interesse geltend machen kann und deshalb Dokumente geheimgehalten werden müssen. Oft findet sich im konkreten Fall ein Kompromiss.» Das muss doch im Sinne eines Staates sein, der die demokratischen Prinzipien so hoch wie möglich halten will.

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Cramer und auch SVP-Fraktionssprecher Stefan Suter argumentieren unter anderem gegen eine Schlichtungsstelle, weil sich der Staat ans Legalitätsprinzip halten muss. Er ist also von Amtes wegen verpflichtet, korrekt zu handeln bei der Beurteilung, ob ein Dokument zugänglich gemacht wird oder nicht. Dass dieses Ideal in der Praxis nicht immer erreicht wird, zeigen die Fälle, in denen Medienschaffende mit einem abgelehnten Gesuch vor Gericht ziehen und sich den Zugang zu Dokumenten zuerst erstreiten müssen. Das wird natürlich auch künftig noch möglich sein – vielleicht aber weniger nötig. 

Ich will den Staat hier nicht unter Generalverdacht stellen: Ein Schlichtungsverfahren heisst nicht, dass die Öffentlichkeit künftig häufiger Einsicht in Dokumente erhält, weil er heute zu unrecht Gesuche en masse abweisen würde. Es bedeutet aber: Im Zweifelsfall sitzen Verwaltung und Gesuchsteller*in zusammen an einen Tisch, bevor der Fall vor Gericht landet. Und zwar nicht an einem freiwillig gedeckten Tisch, wenn beide Lust darauf haben, sondern verbindlich geregelt. Dass dies niederschwelliger ist, als das Risiko eines teuren Gerichtswegs einzuschlagen, liegt auf der Hand. Gerade in Zeiten, in denen Medien an allen Ecken sparen, ist es sinnvoll, ihnen den ökonomischen Druck zu nehmen, wenn sie versuchen, dem Staat auf die Finger zu schauen.

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Das ist Michelle (sie/ihr):

Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und zieht für Reportagen durch die Gassen. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen.


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