Ein gutes Zeichen für unsere Stadt

Mustafa Atici gewinnt das Rennen um den freien Regierungsratssitz und Basel einen weltoffenen Anstrich. Eine erste Analyse.

Mustafa Atici, Regierungsratskandidat Basel-Stadt, Mitte, und seine Frau Cennet jubeln mit ihren Anhaengern nach den ersten Zwischenresultaten, am Tag des zweiten Wahlgangs der Ersatzwahl in den Regierungsrat Basel-Stadt, am Sonntag, 7. April 2024 in Basel. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Freude bei Mustafa Atici und seiner Entourage. (Bild: © KEYSTONE / PETER KLAUNZER)

Jubel bei den Linken, lange Gesichter bei den Bürgerlichen: Mustafa Atici ist sichtlich ein Stein vom Herzen gefallen, als am Sonntagmittag im Kongresszentrum Basel die Zwischenergebnisse für die Regierungsratswahlen bekanntgegeben wurden. Der bekannte und beliebte alt SP-Nationalrat hat den Sprung in die Exekutive problemlos geschafft – und zwar mit 25'198 Stimmen. Dies wurde durch das Endergebnis um 18 Uhr bestätigt.

Nicht nur, aber auch wegen der fremdenfeindlichen Ressentiments, die diesen Wahlkampf geprägt haben, ist das Resultat ein gutes Zeichen für unsere Stadt. Basel hat sich vom fremdenfeindlichen Kleingeist verabschiedet und das Vorwärtsmomentum genutzt: Mit der Wahl eines erfolgreich integrierten Migranten, der ausser ein paar Dativ-Fehlern fast alles richtig macht, wird endlich eine Realität dieses Zuwanderer-Kantons auch auf der Ebene Exekutive abgebildet. 

Mustafa Atici, Regierungsratskandidat Basel-Stadt, links, nimmt von seinem Konkurrenten Luca Urgese Gratulationen entgegen, am Tag des zweiten Wahlgangs der Ersatzwahl in den Regierungsrat Basel-Stadt, am Sonntag, 7. April 2024 in Basel. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
«Gewisse Anfeindungen haben mich ziemlich nachdenklich gemacht»

Mustafa Atici sagt im Interview mit Bajour, was das für ihn und die migrantische Community in Basel bedeutet und wie er den Wahlkampf erlebt hat.

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Enttäuscht ob des Resultats zeigte sich der bürgerliche Konkurrent Luca Urgese. Doch der FDP-Grossrat hat mit seinen 22'228 Stimmen (nur noch 2970 weniger als Atici) einen Achtungserfolg erzielt. In den vergangenen Wochen holte er nochmals ordentlich auf und positionierte sich kompetent bis aggressiv, während Atici mit seiner Performance teilweise enttäuschte. Insbesondere in den Video-Interviews und Debatten ist es Atici selten gelungen, sich und seine Politik stringent darzustellen. An seiner magistralen Auftrittskompetenz wird er noch arbeiten müssen.  

Nachdem Conradin Cramer, der mit 37'440 als neuer Regierungspräsident bestätigt wurde, sich nach dem für ihn erfreulichen Ergebnis Anfang März vollkommen aus dem Wahlkampf verabschiedet hatte, konnte Urgese ungeniert auf 30 Jahre bürgerliche Bildungsmisere im Kanton Basel-Stadt einprügeln und sich als Retter in der Not darstellen. Dafür schreckt Urgese nicht zurück, seinen Kollegen Cramer, aber auch alt LDP-Erziehungsdirektor Christoph Eymann als Versager hinzustellen, was den Bürgerlichen insgesamt geschadet haben dürfte.

Linke Disziplin gewinnt

Dass Atici trotz der guten Performance von Urgese nun das Rennen gemacht hat, ist wohl in erster Linie der linken Disziplin zu verdanken beziehungsweise der Tatsache, dass das links-grüne Basel  eine bürgerliche Mehrheit in der Regierung verhindern wollte. Die Bürgerlichen haben die Wende versucht. Und dieser Versuch war es allein wegen des grünen Kandidaten-Intermezzos auch wert. Die Chancen der Bürgerlichen schienen von Anfang an intakt – und sie wurden mit jedem Tag intakter. Ohne Jérôme Thiriet wäre Atici schon im ersten Wahlgang problemlos Mitglied der Exekutive geworden. Nun eben erst im zweiten.

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Der neue Regierungspräsident klopft seinem Wahlkampfkollegen ermutigend auf die Schulter.

Atici, der seit über 20 Jahren in der Bildungspolitik engagiert ist, hielt im Kampf um das nun frei werdende Erziehungsdepartement die besseren Karten in der Hand. Im zweiten Teil des Wahlkampfes hat er sich allerdings immer öfter in Allgemeinplätze verloren und sich insbesondere in Bezug auf die integrative Schule mit den von ihm eingebrachten Lerninseln verzettelt. Der aggressive Wahlkampf hat Atici offenbar nicht gut getan, was angesichts der Gehässigkeit und der fremdenfeindlichen Angriffe nicht erstaunlich ist. 

Urgese hat es hingegen geschafft, eine klare Linie aufzuzeigen und Forderungen (beispielsweise nach Kleinklassen) zu benennen. So riefen letzte Woche überraschend auch noch über 50 Basler Bildungsexpert*innen zur Schlussmobilisierung von Urgese auf (während ein unabhängiges Komitee im ersten Wahlgang Atici den Rücken stärkte).

Die bürgerliche Taktik, auf ein Zweierticket mit Cramer zu setzen, darf nicht nur als gescheitert, sondern auch als ungeschickt bezeichnet werden. So musste Urgese nicht nur auf seinen politischen Wingman einprügeln, während sich Atici als langjähriger (und friedvoller) Bildungspolitiker präsentieren konnte. Auch wurde durch die bürgerliche Strategie der zweite Wahlgang auf das Thema Bildung reduziert. Dabei hätten die Angreifer wohl lieber (weiter) über die ewige bolschewistische Gefahr im roten Basel gesprochen, über die armen Parkplätze, das Wohnschutzfiasko, den  umstrittenen Rheintunnel, über allgegenwärtige Bettler*innen oder das Gendern an und für sich. Die Offensive von Christoph Eymann im Telebasel, der eben diesen Fokus kritisierte, kam dafür zu spät. 

Blick auf den Herbst

Was das Resultat von Sonntag nun für das Ticket mit der SVP im Herbst bedeutet, wenn Gesamterneuerungswahlen stattfinden, dürfte sich erst im Mai beziehungsweise Juni entscheiden. Dann entscheiden die Partei-Basen über einen weiteren «bürgerlichen» Schulterschluss oder gehen getrennte Wege, falls die SVP schlicht als so rechts gilt, dass sie für Basels bürgerlichen Wähler*innen als unvermittelbar erscheint. 

Die bürgerliche Taktik, auf ein Zweierticket mit Cramer zu setzen, darf nicht nur als gescheitert, sondern auch als ungeschickt bezeichnet werden.

Es ist davon auszugehen, dass die SVP auf das gemeinsame Ticket bestehen wird; das gute Resultat von Urgese dürfte der Volkspartei den Rücken stärken. Am meisten abgeneigt scheint zum jetzigen Zeitpunkt die Mitte mit ihrer neuen Führung zu sein, während man sich bei der FDP ans Wort gebunden fühlen dürfte. Bei der LDP wird ausschlaggebend sein, wen die SVP aufstellen wird. 

Aber egal, wie sich die bürgerlichen Parteien entscheiden: Für die SVP ist es in jedem Fall eine Win-Win-Situation. Wenn sie aufs Ticket kommt, macht es die Partei, die in der Vergangenheit von LDP-Exponent*innen als «Sauhaufen» bezeichnet wurde, salonfähig. Kommt sie nicht drauf, kann sie die Opferkarte spielen und sich als «einzige Oppositionspartei» profilieren. Beides hilft ihnen bei den Grossratswahlen, einen Regierungsrat bekommt sie trotzdem nicht.

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