Vom Bernoullianum in den Kessel
Die Polizei räumte die pro-palästinensische Besetzung des Bernoullianums. Die Aktivist*innen ziehen durch die Stadt, einige werden eingekesselt. Nun wollen sie besprechen, wie es nach Ende der Besetzung weitergeht.
Am Mittwochmorgen hat am Bernoullianum angespannte Stimmung geherrscht. Das zweite Ultimatum der Unileitung an die pro-palästinensischen Besetzer*innen zur Räumung des Bernoullianums war um 8 Uhr ausgelaufen. Wird direkt geräumt? Oder gibt es neue Dialogangebote der Unileitung?
Die allgemeine Verwirrung, dass bis auf ein kurzes Blickenlassen von Unisprecher Matthias Geering keine Reaktion der Uni auf die andauernde Besetzung erfolgte, machte sich im Camp breit und spiegelte sich auf der Gegenseite auch auf X (vormals Twitter): Hier erzürnten sich bürgerliche Basler Politiker*innen, dass noch immer keine Räumung stattgefunden habe.
Sim, Ansprechperson der Besetzer*innen für die Medien, erklärte am Vormittag noch, er habe sich Gedanken über den Namen des Gebäudes gemacht. Bernoulli war ein Schweizer Mathematiker, «da musste ich an den palästinensischen Mathematiker Sufian Tayeh denken; er wurde im Dezember bei einem israelischen Luftangriff in Gaza getötet.» Und dann fügt er an: «Vielleicht könnten wir überlegen, das Gebäude während der Dauer der Besetzung Tayehanum zu nennen.» Das sei aber seine persönliche Meinung und nicht mit dem Kollektiv abgesprochen.
Die Stunden vergingen, ohne eine Reaktion der Unileitung. Die Besetzer*innen begannen, ein Programm für den Verlauf des Tages zu planen. Nach einer Kundgebung zur Erinnerung an die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser*innen nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948, hielten sie am Mittag ihre Generalversammlung ab, bei der der weitere Verlauf der Besetzung beschlossen werden sollte. Medien waren wie bei vorherigen Generalversammlungen der Besetzer*innen nicht zugelassen.
Kurz danach, gegen 14 Uhr, kam der Zeitpunkt, an dem ohne weitere Vorankündigung schliesslich doch die Polizei auftauchte, um mit der Räumung zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt kam auch die Medienmitteilung des Uni-Rektorats, dass man diesen Schritt bedauere. Darin betonte man erneut Gesprächsbereitschaft zu den Punkten, die Vermittler Laurent Goetschel am Vorabend präsentiert hatte – welche von den Besetzer*innen allerdings nicht als Grundlage für einen Dialog angesehen wurden (Bajour berichtete).
Die Besetzer*innen zogen geschlossen aus dem Bernoullianum, abgeführt wurde keine der Personen. Die Gruppe zerstreute sich, ein Teil traf sich am Petersplatz, ein anderer bei der Uni-Bibliothek. Ein weiterer Teil der Besetzer*innen wurde beim Denner in der Kornhausgasse von der Polizei eingekesselt.
Auf X wurde von einem Journalisten das Narrativ verbreitet, dass die Aktivist*innen versucht hätten, zum Jüdischen Museum in der Kornhausgasse zu gelangen. Das sorgte in der jüdischen Community zum Teil für starke Verunsicherung. Die Berichtigung des Journalisten, dass die Aktivist*innen zufällig dort gelandet seien, erhielt nur noch einen Bruchteil der Aufmerksamkeit. Gegenüber Bajour sagte eine der Aktivist*innen, das Jüdische Museum sei überhaupt nicht auf ihrem Radar gewesen, diese Annahme sei «absurd».
Zu diesem Zeitpunkt mobilisierte sich auch die grössere Gruppe, die bei der Unibibliothek vor der Polizeilinie des Bernoullianums stand und mit Parolen Uni-Rektorin Andrea Schenker-Wicki kritisierte. Immer wieder wurde sie aufgefordert, persönlich den Dialog mit den Student*innen aufzunehmen. Schnell hiess es, man wolle sich mit der Gruppe im Polizeikessel solidarisieren. Also zogen die Aktivist*innen in Richtung Kornhausgasse.
Sie fanden sich am Leonhardsgraben ein, um dort lautstark vor der Polizeiabsperrung, an der Polizist*innen in Vollmontur mit Gummigeschossgewehren standen, für die Freilassung der anderen Gruppe zu demonstrieren. Während sich die Gruppe ausserhalb des Kessels auf der Strasse einrichtete, eine Pizzalieferung für alle entgegennahm und mit Sitzstreik den Verkehr störte, fanden im Polizeikessel Kontrollen statt.
Polizeisprecher Adrian Plachesi bestätigte später, dass die Personalien von 43 Personen aufgenommen wurden, dafür habe man den Kessel eingerichtet. Gefährliche Gegenstände seien nicht beschlagnahmt worden. Bis auf eine Person, die wegen Diensterschwerung und Ehrverletzung verzeigt wurde, gab es keine Strafanzeigen.
Nach zwei Stunden, gegen 17 Uhr, waren alle Personen kontrolliert worden und konnten den Kessel verlassen. Die Gruppe vor dem Kessel begann dann auch, sich aufzulösen. Schon um 18 Uhr ging es weiter mit einer Generalversammlung der Besetzer*innen, so hatte man noch während der Mobilisierung auf der Strasse entschieden. Da gegen die eingekesselte Gruppe ein befristeter Platzverweis für einen Grossteil des Uni-Campus-Geländes ausgesprochen wurde, fand diese auf dem Peterskirchplatz statt.
Später äusserten die Besetzer*innen auf Instagram noch Kritik am Vorgehen der Unileitung und der Polizei. Darin geäusserte Vorwürfe rassistischer Polizeikontrollen und eines sexuellen Übergriffs durch einen Security-Mitarbeiter können momentan nicht geklärt werden.
Nach der Generalversammlung zogen die Aktivist*innen ab. Statt einer neuen Besetzung auf dem Peterskirchplatz wollen sie erstmal planen und sich weiter besprechen.