Wie links ist die Schatzmeisterin?
Tanja Soland gilt als SP-Politikerin vom linken Parteiflügel. Als Finanzdirektorin appelliert sie ans Parlament, die Ausgabelust zu zügeln – trotz millionenschweren Überschüssen und diversen Begehrlichkeiten, auch von links. Eine Bilanz.
Vorweg: Über Tanja Soland liest man viel Lob. Die 49-jährige SP-Finanzdirektorin gilt als kompetent, gleichzeitig sei sie bürgernah, nicht ideologisch, vor allem pragmatisch und verständnisvoll, kompromissbereit. Kommt hinzu: Dem Kanton geht es finanziell gut. Sehr gut, muss man sagen angesichts der millionenschweren Überschüsse, die Basel-Stadt regelmässig verzeichnet. So etwas wie ein «Nimbus einer Unangreifbaren» umgebe sie, schrieb die BaZ einmal über Soland, in einer nicht repräsentativen Bajour-Umfrage zur Beliebtheit der Regierungsrät*innen vom April 2024 räumt sie ab.
Während der 15-jährigen Amtszeit ihrer Vorgängerin und SP-Parteikollegin Eva Herzog gediehen die Kantonsfinanzen (wie gross Herzogs Anteil daran ist, sehen linke und bürgerliche wenig überraschend etwas anders). Nun führt Soland fort, was Herzog begonnen hat.
wuchs in Binningen und im Kleinbasel in einer Arbeiter*innenfamilie auf. Sie studierte Rechtswissen und arbeitete als Strafverteidigerin. Nachdem sie 2006 in den Grossen Rat nachrückte, wurde sie Fraktionspräsidentin und Präsidentin der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission. Anfang 2020 übernahm sie nach einer Ersatzwahl Eva Herzogs Platz im Regierungsrat und erzielte bei der Erneuerungswahl wenige Monate später das beste Resultat aller Exekutivmitglieder.
(Foto: Dominik Plüss)
Die finanzielle Stabilität und die hohen Überschüsse wecken aber auch in einer Art verlässlichem Automatismus Steuersenkungsgelüste, insbesondere bei den Bürgerlichen. Und so war es Tanja Soland, eine SP-Politikerin vom linken SP-Flügel, die im ersten Jahr als Regierungsrätin ein Steuersenkungspaket ausarbeitete. Soland signalisierte aber Verständnis für die Begehrlichkeiten und argumentierte, der Kanton Basel-Stadt habe strukturelle Überschüsse (im 2022 waren 72 Millionen Franken budgetiert), es entspreche «daher einer gewissen Logik».
«Können die Wähler*innen es nachvollziehen, wenn eine sozialdemokratische Regierungsrätin als eine der ersten Amtshandlungen gleich Steuersenkungen verspricht?», fragte Bajour die Regierungsrätin im Februar 2022, zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt. «Ich hoffe, sie verstehen es, weil ich muss», antwortete Soland. Die Bevölkerung verstand. 2023 nahm das Stimmvolk das von ihr geschnürte Päckli mit bemerkenswertem 84 Prozent Ja-Stimmenanteil an. Es beinhaltete Erleichterungen bei der Einkommens- und Vermögenssteuer sowie Abzüge bei den Krankenkassenprämien, beim Sozialabzug und für die Kinderbetreuung und trat rückwirkend für das Steuerjahr 2023 in Kraft. Dieser Deal, da sind sich Polit-Beobachter*innen weitgehend einig, ist einer ihrer grössten Erfolge bisher.
Für den Päckli-Vorschlag erntete Soland aber auch Kritik aus den eigenen Reihen. Anfänglich drohte die SP-Parteileitung mit dem Referendum, sollte sie nicht auf die vorgesehene Senkung der Vermögenssteuer verzichten. Am Ende lenkte die SP ein und «nur» Grüne, BastA!, Juso und jgb gingen mit einem Referendum auf Konfrontationskurs – und scheiterten kläglich an der Urne. Das war ein wichtiger Trumpf für Tanja Soland, die es geschafft hatte, mit verschiedenen «Zückerli» Linke und Bürgerliche dazu zu bringen, dem Paket zuzustimmen. Strategisch sei das zwar geschickt gewesen von Soland, sagt der damalige Juso-Präsident Nino Russano heute, «aber eben nicht im Sinne einer linken Vorstellung von mehr Steuergerechtigkeit. Aus linker Sicht wäre es nicht nötig gewesen, die Vermögenssteuer zu senken.»
Dass sich die Regierungsrätin mit ihren Positionen von denen ihrer Partei unterscheidet, fiel in der Vergangenheit mehrfach auf, zum Beispiel bei der Umsetzungsvorlage für die OECD-Mindeststeuer – die Delegierten beschlossen Stimmfreigabe entgegen Solands Haltung. Oder beim «Green New Deal»: «Fast entnervt» hätte Soland versucht, die SP-Fraktion im Grossen Rat davon abzuhalten, einem Klimafonds zuzustimmen, beschrieb die BaZ die Szene im Rathaus, bevor der Vorstoss zur Stellungnahme an die Regierung überwiesen wurde. Da fragt man sich: Hört die SP-Fraktion nicht auf Soland?
Sie verneint: «Ich habe schon das Gefühl, dass ich gehört werde.» Als Regierungsrätin habe man eine andere Rolle und Entscheide würden im Kollegium gefällt. «Die Zusammenarbeit mit meiner Partei ist gut.» Und wie sieht das die Fraktion? Ist die Regierungsrätin der Fraktion zu wenig links?
«Mit einer bürgerlichen Finanzdirektorin könnten wir gewisse Diskussionen gar nicht erst führen.»Michela Seggiani, SP-Fraktionspräsidentin
SP-Fraktionschefin Michela Seggiani winkt ab: Sie seien sehr zufrieden mit der Arbeit von Tanja Soland. Dass Fraktion und Finanzdirektorin manchmal unterschiedliche Meinungen vertreten, erklärt auch sie mit den zwei verschiedenen Rollen: «Tanja muss als Schatzmeisterin den Schatz zusammenhalten und die Meinung des Regierungsrats vertreten. Die Grossrät*innen tragen die Wünsche der Bevölkerung ins Parlament.» Seggiani sieht deshalb – wie auch Soland – in den unterschiedlichen Haltungen keinen Konflikt. Im Gegenteil: Seggiani sagt, sie sei froh, dass mit Soland eine langjährige Politikerin vom linken Flügel der SP in der Regierung sitze, auch wenn die Meinung des «bürgerlich dominierten Gesamtregierungsrats» nicht so links sei.
«Mit einer bürgerlichen Finanzdirektorin könnten wir gewisse Diskussionen gar nicht erst führen», ist Seggiani überzeugt. Sie präge das Finanzdepartement mit sozialen und sozialverträglichen Massnahmen, findet sie und nennt als Beispiel das OECD-Standortpaket. Zurzeit liegt es bei der zuständigen Wirtschafts- und Abgabekommission des Grossen Rats. Unter anderem wollen Soland und Wirtschaftsdirektor Kaspar Sutter damit Firmen belohnen, wenn sie eine Elternzeit über dem gesetzlichen Minimum anbieten. Da erkenne man die sozialdemokratische Haltung der Regierungsrätin, sagt Seggiani.
Wobei nicht alle in der SP Luftsprünge machen: «Das Paket ist nicht ausgewogen», findet Nino Russano, der diesen Herbst für den Grossen Rat kandidiert. «Es begünstigt Konzerne zu sehr und die Bevölkerung zu wenig.» Enttäuscht sei er von Soland deshalb aber nicht: «Sie kann wegen der Kollegialität und den Mehrheitsverhältnissen einfach nicht so linke Politik betreiben, wie es ihr entsprechen würde», findet er.
«Wenn die finanzielle Lage des Kantons so bleibt, wird Tanja Soland nicht anders können, als mit einem neuen Steuerpaket zu kommen.»Luca Urgese, FDP-Grossrat
Kritik bekommt Soland aus bürgerlichen Reihen. Sie werfen Soland regelmässig vor, zu konservativ zu budgetieren. FDP-Grossrat und Steuerpolitiker Luca Urgese formuliert es so: «Ein Teil der Lücke zwischen Budgetierung und Rechnung ist nachvollziehbar. Aber Differenzen in der Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken sind schon speziell.»
«Das Ziel ist, dass wir möglichst realistisch budgetieren», sagt Soland dazu. Sie betont jeweils die vielen Unbekannten in der Budgetierung, zum Beispiel bei der Gewinnentwicklung der grossen Unternehmen. «Der Überschuss im letzten Jahr kam vor allem zustande, weil die Steuereinnahmen von Unternehmen um 50 Prozent (!) gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind. Das können wir nicht antizipieren», schreibt sie auf Anfrage von Bajour.
«Sie muss wirklich aufpassen, dass sie vor allem die guten Steuerzahlenden nicht zu sehr verärgert.»Andrea Knellwolf, Mitte-Grossrätin und Präsidentin der Wirtschafts- und Abgabekommission
Und auch Mitte-Grossrätin und Präsidentin der Wirtschafts- und Abgabekommission Andrea Knellwolf sagt zu Bajour: «Ich finde eine allgemeine buchhalterische Vorsicht sinnvoll.» Sie habe nicht das Gefühl, von einer schlechten Finanzministerin geführt zu werden, Soland habe sich in die Themen reingekniet. Aber: «Bei den Steuern nimmt sie ein bisschen viel, da muss sie wirklich aufpassen, dass sie vor allem die guten Steuerzahlenden nicht zu sehr verärgert», findet sie.
Mit dieser Haltung ist sie nicht allein. Mittlerweile fordern Bürgerliche schon fast mantraartig eine nächste Steuersenkungsrunde. Zunächst muss Soland jetzt nach einem Vorstoss von FDP-Grossrat Christian C. Moesch eine einmalige Steuerrückzahlung prüfen. Das Anliegen wurde mit einer deutlichen Mehrheit überwiesen.
… wollten wir im Februar von unseren Leser*innen in einer Frage des Tages wissen. An Ideen mangelte es nicht.
Steuersenkungen sind damit aber noch nicht vom Tisch. In den Worten von LDP-Grossrat Olivier Battaglia (bei Telebasel): «Nach der Steuersenkung ist vor der Steuersenkung.» Die FDP sammelt Unterschriften für ihre im März lancierte «Kaufkraft-Initiative». Auf dem Plakat: Eine Karikatur von Soland beim Schwumm im Geld. Ausserdem hat der Grosse Rat im September zwei Vorstösse zum Thema überwiesen: Einen von SVP-Grossrat Lorenz Amiet, der explizit ein neues Steuerpaket fordert, und einen weiteren Vorstoss von FDP-Grossrat Luca Urgese, der es möglich machen will, den Steuerfuss jährlich anzupassen. «Wenn die finanzielle Lage des Kantons so bleibt, wird Tanja Soland nicht anders können, als mit einem neuen Steuerpaket zu kommen», findet Urgese.
Anders können wird Soland übrigens auch bei den Polizeilöhnen nicht. Die beiden Grossräte Michael Hug (LDP) und Pascal Messerli (SVP) forderten mit einem Vorstoss, dass die Löhne der Polizist*innen bis am 1. Mai 2025 «substanziell» erhöht werden. Tanja Soland fand das mit Blick auf das Lohngesetz «unrealistisch», man sei mit der Arbeitsmarktzulage bereits an Verbesserungen dran, das Problem sei erkannt, sagte sie in der Grossratsdebatte im Juni.
Die SP folgte ihrer Regierungsrätin (mit wenigen Ausnahmen), Fraktionschefin Seggiani argumentierte: «Wir sehen, dass der Personalunterbestand bei der Polizei ein Problem ist, und wir unterstützen zielgerichtete Massnahmen. Aber wir möchten erst eine Auslegeordnung, bevor wir weitere Lohnerhöhungen beschliessen.» Vergeblich: Der Vorstoss wurde mit 62 Ja- gegen 25 Nein-Stimmen überwiesen.
Neben Finanzen und Steuern gehören Immobilien ebenfalls zum Verantwortungsbereich von Tanja Soland. Während ihres Wahlkampfs hatte Soland versprochen, beim bezahlbaren Wohnraum dranzubleiben. Und auch jetzt schreibt sie auf Anfrage von Bajour, sie sei stolz darauf, beim Bau und dem Erhalt von preisgünstigem Wohnraum «sehr aktiv» zu sein. «Mit dem Wohnbauprogramm 1000+ baut der Kanton bis 2035 1000 neue, preisgünstige Wohnungen in Eigeninvestition. Da sind wir auf gutem Weg.» Das Programm wurde unter Eva Herzog aufgegleist und Soland führt es in gleichem Sinne weiter. Dennoch nimmt man sie bisher in der Öffentlichkeit nur punktuell als starke linke Stimme in der Wohnbaupolitik wahr.
Eines von wenigen bleibenden Beispielen ist wohl der Kauf des Clara-Areals Anfang 2022. «Mit seiner aktiven Bodenpolitik schafft sich der Regierungsrat einen Handlungsspielraum, um die Entwicklung der Stadt und das Wohnraumangebot im Interesse der gesamten Bevölkerung zu beeinflussen», schrieb damals die Regierung. «Ein linker Pflock für die Mieter*innen», kommentierte Bajour. Kritik an diesem Kauf und der Immobilienstrategie des Kantons gabs von bürgerlicher Seite. Die Freisinnigen gingen nicht davon aus, sagte damals Daniel Seiler in seiner Funktion als Präsident der FDP-Kleinbasel, dass der Kanton die Immobilienbewirtschaftung kostengünstiger und effizienter als private Anbieter angehen könne.
Aus linker Sicht könnte Soland in diesem Bereich spürbarer auftreten. Wobei: Ihr sozialpolitischer Hintergrund zeigt sich in kleineren Massnahmen. Zu Beginn ihrer Regierungszeit veranlasste sie zum Beispiel, dass die Steuerverwaltung neu bezahlte Betreibungen schneller aus dem Betreibungsregister löscht. «Sonst haben die betriebenen Personen Nachteile, zum Beispiel bei der Wohnungssuche», argumentiert Soland.
Das Musical Theater soll dem geplanten Hallenbad weichen, dafür hat sich der Regierungsrat nun definitiv ausgesprochen. Neben dem Umbau steht auch ein Neubau zur Diskussion – Gesamtkosten rund 100 Millionen Franken.
Punkto Immobilien würde Tanja Soland in einer nächsten Amtszeit auch das Musical Theater weiterhin beschäftigen. 2022 gab der Regierungsrat bekannt, am jetzigen Standort des Musical Theaters ein Hallenbad bauen zu wollen – und stiess mit diesen Plänen auf zunehmenden Widerstand aus Kultur und Politik. Ein überparteiliches Komitee sammelte auf Initiative der FDP innert kürzester Zeit 3’000 Unterschriften für eine Volksinitiative «Für den Erhalt des Musical Theaters». Die Befürworter*innen des Musical Theaters bestreiten nicht, dass Basel eine neue Schwimmhalle braucht. «Aber doch nicht im Musical Theater!»
Das sieht der Regierungsrat auch nach einer vertieften Analyse anders: «Da das Musical Theater keine wirtschaftlich tragfähige Perspektive hat, erachtet der Regierungsrat die notwendige Sanierung des Musical Theaters als nicht sinnvoll», bekräftigt er seine Pläne in einer Mitteilung im März 2024. Nun wird das Stimmvolk entscheiden müssen: Bis spätestens im März 2025 soll zuerst die Initiative zum Erhalt des Kulturhauses zur Abstimmung an die Urne kommen, zu einem späteren Zeitpunkt würden dann die Umbaupläne des Regierungsrats dem Stimmvolk vorgelegt.
Dass sich Soland in den bevorstehenden Erneuerungswahlen keine Sorgen machen muss, gilt bei Beobachter*innen als unbestritten – auch wenn die Finanzdirektorin fürs kommende Jahr kürzlich rote Zahlen im Budget angekündigt hat: Die Ausgaben von 34 Millionen Franken für den ESC waren im Budget noch nicht eingeplant, zudem sieht sich der Kanton mit neuen Ausgaben konfrontiert – etwa bei der familienergänzenden Kinderbetreuung mit dem Gegenvorschlag zur Kita-Initiative oder steigenden Zahlungen in den Nationalen Finanzausgleich. Sie hoffe nicht, dass die goldenen Zeiten im Stadtkanton nun vorbei seien, sagte sie zu den Medien und mahnte im gleichen Atemzug zu Zurückhaltung beim Geldausgeben – ein Appell an den Grossen Rat, aus dem Begehrlichkeiten «von allen Seiten» kämen. Und so wird Soland bei einer Wiederwahl auch künftig gut auf den Schatz aufpassen müssen.